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Aufruf gegen NATO-Aufrüstung: Prominente Unterzeichner fordern Dialog statt Konfrontation

Die künftige Bundesregierung wird wohl die deutschen Rüstungsausgaben nahezu verdoppeln. Dagegen formiert sich nun Widerstand in Form eines Aufrufes mit vielen prominenten Unterzeichnern aus Politik und Zivilgesellschaft. Mehr als 10.000 Menschen haben bereits unterzeichnet.
von Markus Hüttmann · 17. November 2017
Gegen die Aufrüstungspolitik: Die Unterzeichner fordern stattdessen mehr Investitionen in den zivilen Bereich
Gegen die Aufrüstungspolitik: Die Unterzeichner fordern stattdessen mehr Investitionen in den zivilen Bereich

Mehr Geld für mehr Waffen: Das verlangt ein von den NATO-Staaten getroffener Beschluss aus dem Jahre 2014. Nach der Vereinbarung sollen alle Mitgliedsländer bis 2024 jährlich zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Militär und Rüstung investieren. Der Beschluss wurde vor allem vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise getroffen: 2014 erreichte der Konflikt zwischen der von EU und NATO unterstützten ukrainischen Regierung in Kiew und den von Russland unterstützen Separatisten in der Ostukraine seinen bisherigen Höhepunkt. Es kam zu schweren kriegerischen Auseinandersetzungen, die Krim-Halbinsel im Schwarzen Meer wurde von russischen Truppen besetzt.

Bis heute ist das Verhältnis zwischen Russland und den NATO-Staaten stark angespannt, auch wegen Russlands Eingreifen in den Syrien-Konflikt und der mutmaßlichen Einmischung in die Innenpolitik mehrer westlicher Staaten. Der Beschluss ist daher auch ein politisches Signal an die Regierung Wladimir Putins: Die NATO setzt auf militärische Abschreckung.

„Abrüsten statt aufrüsten“

Gegen die Aufrüstungspolitik der NATO-Staaten regt sich nun aber Widerspruch: Ein breites Bündnis wendet sich unter dem Motto „Abrüsten statt aufrüsten“ mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit. Das Papier wurde von mehr als 90 prominenten Vertretern und Einzelpersonen aus Politik und Gesellschaft unterzeichnet. Zu den Unterstützern zählen unter anderem die Vorsitzenden von DGB und ver.di, Reiner Hoffmann und Frank Bsirske, die SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow, Matthias Miersch, René Röspel, Hilde Mattheis und Ute Finckh-Krämer, die Soziologin Frigga Haug, der Politikwissenschaftler Ulrich Brand, und die Bundesvorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping. Auch der Musiker Udo Lindenberg, die Theologin Margot Käßmann und die Vorsitzende der SPD-Grundwerte-Kommission Gesine Schwan sind mit von der Partie.

Die Unterzeichner wenden sich in dem Aufruf gegen die geplante Rüstungspolitik, weil diese ihrer Meinung nach nur zu noch mehr internationalen Spannungen und Konflikten führen würde. Sie beklagen auch, dass die Kosten von etwa 30 Milliarden Euro, die das angepeilte Zwei-Prozent-Ziel pro Jahr in Deutschland verschlingen würde, im zivilen Bereich fehlten: in Schulen und Kitas, der Infrastruktur, den Rentenkassen, Krankenhäusern, dem sozialen Wohnungsbau und im Kampf gegen den Klimawandel und dessen Folgen.

Neue Entspannungspolitik gefordert

Stattdessen wird in dem Aufruf gefordert: „Militärische Aufrüstung stoppen, Spannungen abbauen, gegenseitiges Vertrauen aufbauen, Perspektiven für Entwicklung und soziale Sicherheit schaffen“. Mehr Geld sollte in Konfliktprävention investiert werden, in der Sicherheits- und Entwicklungspolitik müsse ein Paradigmenwechsel stattfinden. Gegenüber Russland brauche es eine Entspannungspolitik, es müsse verhandelt und abgerüstet werden. Die Unterzeichner rufen zu einer bundesweiten Unterschriftenaktion auf. Es gelte, „einen neuen Kalten Krieg abzuwenden“.

Reiner Braun, Journalist und Veteran der Friedensbewegung, ist einer der Initiatoren des Aufrufs und warnt vor einer neuen Aufrüstungsspirale. Ihm schwebt ein zweiter Helsinki-Prozess zwischen Russland und dem Westen in Anlehnung an die Reihe von Konferenzen im Rahmen der Entspannungspolitik zwischen NATO- und Ostblockstaaten in der 70er-Jahren vor. „Wir müssen bei uns anfangen“, bekräftigt Braun, der sich unter anderem eine „Demilitarisierung der Grenzen“ vorstellen kann. Nach Meinung von Braun gäbe es durchaus Anzeichen dafür, dass auch Wladimir Putin Interesse an einer Entspannungspolitik hat. Und wenn nicht? Dann, so Braun, müsse man den Dialog auf parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Ebene mit den Russen führen. Die seien genauso an Frieden interessiert wie die westlichen Gesellschaften, sagt Braun, und zitiert leicht abgewandelt aus einem alten Arbeiterlied von Jewgeni Jewtuschenko: „Meint ihr, die Russen wollen Krieg?“

Autor*in
Markus Hüttmann

ist bis zum 1. Dezember 2017 Praktikant in der Redaktion des vorwärts. Der gebürtige Hamburger studiert Politikwissenschaft im Master an der Freien Universität Berlin.

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