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"Aufhebung der Sanktionen würde als Einknicken interpretiert werden"

Sollten die Sanktionen gegenüber Russland gelockert werden? Gefordert hatte das zuletzt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. SPD-Bundestagsabgeordneter Dirk Wiese, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, ist dagegen, setzt aber auf Dialog.
von Benedikt Dittrich · 14. Juni 2019

Verschiedene Ministerpräsidenten haben zuletzt eine Aufhebung der Russland-Sanktionen gefordert, darunter auch Stephan Weil aus Niedersachsen, aber auch Michael Kretschmer in Sachsen. Eine gute Idee?

Die Debatte darüber gibt es immer wieder und sie ist auch nicht verboten. Aber wir wollen prioritär erst den Minsker Friedensprozess wieder in Gang bringen. Vor allem den permanenten Waffenstillstand wollen wir durchsetzen, da dies unmittelbar den Bürgerinnen und Bürgern, die täglich ganz konkret vom Konflikt betroffen sind, helfen würde. Dafür sind aber beide Seiten gefordert.

Es wäre also jetzt ein falsches Signal?

Es würde von Teilen der russischen Führung als Einknicken interpretiert werden. Gleichzeitig würde das außerdem alles in Frage stellen – unsere Einigkeit in der Europäischen Union und sogar die KSZE-Schlussakte von 1975, die die territoriale Integrität der Länder in Europa garantiert.

Hat sich denn die Situation seit Beschluss der Sanktionen 2014 in irgendeinem Zusammenhang verbessert?

Es gibt auf deutscher Seite viele Menschen, die sich für eine Verbesserung der Deutsch-russischen-Beziehungen einsetzen, trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten, welche auch angesprochen werden. Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern ist da schon seit vielen Jahren aktiv. Manches, was aber gerade aus Sachsen kommt, ist wohl eher dem Wahlkampf geschuldet. Michael Kretschmer habe ich jedenfalls bisher nicht aktiv in der Russland-Politik wahrgenommen.

Sind solche Äußerungen dann sogar ein Problem?

Nein, der Bundesrat hat ja Freundschaftsgruppen, in denen man sich aktiv für die Beziehungen zu anderen Ländern einsetzt. Diese Beziehungen gibt es schon lange. Natürlich denken auch die Ministerpräsidenten der Länder über den Tag hinaus, vor allem wenn es enge gesellschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen gibt. So wird die Debatte, die Stephan Weil und Manuela Schwesig angestoßen haben, verständlich.

Wie werden denn pro-russische Äußerungen von deutschen Politikern in Russland wahrgenommen?

Da findet gerade teilweise ein Umdenken statt. Wer sich an russische Positionen anbiedert, wie es derzeit zum Beispiel die AfD tut, wird jedenfalls nicht überall als Freund angesehen. Im Gegenteil, denn Freunde sagen sich auch mal die Meinung, haben unterschiedliche Ansichten. Wer aber den Zweiten Weltkrieg als Vogelschiss der Geschichte bezeichnet, tritt auch die Erinnerung an 27 Millionen getötete sowjetischen Soldaten und Zivilisten mit Füßen und ist sicherlich kein Freund Russlands.

Hat sich denn an anderer Stelle die Beziehung zu Russland verbessert?

Wir haben es, auch durch die Initiative von Außenminister Heiko Maas, geschafft, Russland eine Brücke zu bauen, damit das Land Mitglied im Europarat bleiben kann. Dagegen gab es Widerstand, das war auch in der EU umstritten. Aber es ist wichtig, denn nur so haben die russischen Bürger weiterhin die Möglichkeit, vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu klagen. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass Russland trotz allem weiterhin zu Europa gehört. Zur Stärkung des Jugendaustausches hoffe ich, dass wir für Unter-25-jährige eine Visaliberalisierung einführen können.

Gibt es weitere positive Entwicklungen?

Wir haben Ende Juni die Konferenz zur deutsch-russischen Städtepartnerschaft und im Juli den Petersburger Dialog. Davon abgesehen haben wir das Budget für zivilgesellschaftliche Projekte, die Deutsche, Russen und Menschen anderer Nationalitäten zusammenbringen, jüngst von 14 auf 18 Millionen Euro erhöht, die Nachfrage ist enorm.

Ist das Interesse an solchen Beziehungen in den ostdeutschen Bundesländern denn größer als in den westdeutschen?

Es gibt in Ostdeutschland schon historisch eine besondere Nähe zu Russland. Aber ich sehe das sehr entspannt, in den alten Bundesländern wird genauso intensiv diskutiert, gibt es ebenfalls unterschiedliche Meinungen. Natürlich gibt es eine enge wirtschaftliche Verflechtung, der Austausch ist nach den Sanktionen auch klar zurückgegangen. Das lag aber nicht nur an den Sanktionen, in Russland wurden auch Wirtschaftsreformen gestoppt, es gab eine Rubel-Abwertung und vieles mehr.

Könnte sich darüber hinaus in den nächsten Monaten noch etwas entwickeln?

Mit der Wahl des neuen Ukrainischen Präsidenten könnte sich im Rahmen des Minsker Friedensabkommens etwas bewegen. Es gibt Überlegungen, ob es ein neues Gipfeltreffen geben wird. Wenn sich dadurch etwas für die Menschen vor Ort verbessert, kommen wir dann hoffentlich auch in eine Dynamik, wo eine Lockerung der Sanktionen möglich wird. Da müssen wir aber erst hinkommen. Bei anderen Themen müssen wir uns erst einmal einig werden, dass wir uns nicht einig sind.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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