IS auf dem Vormarsch – auch auf dem Büchermarkt
Zu den Buchautoren zählen etwa Spiegel-Korrespondent Christoph Reuter mit einer eigenen Recherche zur Entstehungsgeschichte der Terrorkrieger („Die schwarze Macht“, dva) oder der ehemalige FAZ-Korrespondent Rainer Herrmann (Endstation Islamischer Staat? Staatsversagen und Religionskriege in der arabischen Welt“, dtv), der so etwas wie einen Dreißigjährigen Krieg im Nahen Osten aufziehen sieht. Michael Lüders darf nicht fehlen („Wer den Wind sät – was westliche Politik im Orient anrichtet“, C.H.Beck). Er sieht die Hauptschuld für die Verwerfungen im Nahen Osten bei den USA und ihren Kriegen im Orient. Guido Steinberg schreibt über das „Kalifat des Schreckens – IS und die Bedrohung durch den islamischen Terror“, Knaur. Das umfangreichste und hintergründigste Buch hat zweifellos Wilfried Buchta geschrieben: „Terror vor Europas Türen – der Islamische Staat, Iraks Zerfall und Amerikas Ohnmacht“, Campus-Verlag. Nicht zu vergessen Jürgen Todenhöfer mit seinem Erfahrungsbericht „Inside IS – 10 Tage im Islamischen Staat“, Bertelsmann.
Mut eines Selbstdarstellers
Natürlich ist Todenhöfer ein gekonnter Selbstdarsteller und schnell bei der Hand mit moralisch aufgeladenen Analysen. Am Ende sind bei ihm immer die Amerikaner schuld. Dass es mehr Kriege gibt zwischen islamischen Ländern als zwischen dem Westen und der arabischen Welt, erwähnt er nicht. Auch nicht, dass der syrische Machthaber Assad mit seiner von Beginn an gewaltsamen Reaktion auf zunächst friedliche Proteste entscheidend mit zu Eskalation des Extremismus in Syrien beigetragen hat.
Man sollte aber auch seinen Mut anerkennen. 10 Tage bereiste er zusammen mit seinem Sohn und einem Freund das IS-Gebiet. Vom Kalifen hatte er zwar eine Garantie auf sichere Rückkehr, doch ob dieser selbsternannte Nachfolger des Propheten sein Wort halten würde, war ungewiss. Der Erkenntniswert der gefahrvollen Reise ist allerdings begrenzt. Wirklich frei reden durfte Todenhöfer mit den Menschen in IS-Land nicht. Daraus macht er auch kein Geheimnis. Die Entstehung des IS aber nur den USA und ihrer verfehlten Irak-Politik anzulasten, ist zu kurz gegriffen. Auch Saudi Arabien als Salafisten-Sponsor und Ideologielieferant gehört auf die Anklagebank.
Hausgemachte Problem
Darüber schreibt Michael Lüders in seinem sicherlich einseitig engagierten aber gut argumentierenden Buch. Der saudische Wahabismus liefere den „geistigen Nährboden“ für den „konfessionell aufgeladenen Konflikt: Sunniten gegen Schiiten.“ Und laut Lüders gehört SyriensAssad zwar nicht zu den Gründungsvätern des IS – das sind die USA und die schiitische Regierung des Irak – aber sicher zu den Gönnern dieser Terrorgemeinschaft, zumindest in den ersten Jahren. Zweifellos hat Lüders Recht, wenn er den Beginn des gegenwärtigen Staatszerfalls in der islamischen Welt auf das Jahr 2003 datiert, dem Jahr der US-Invasion in den Irak. Und sicherlich untergräbt der von CIA und MI6 organisierte Putsch gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh in Persien im Jahr 1953 auch heute noch westliche Glaubwürdigkeit, wie Lüders schreibt. Die arabische Welt leidet aber auch an hausgemachten Problemen wie der Politikunfähigkeit der Moslembrüder in Ägypten, den autoritären Herrschern wie in Saudi Arabien oder Katar oder heute auch wieder in Ägypten. Auch Libyen ist sicherlich kein gutes Beispiel für gelungene Interventionspolitik des Westens. Was aber hätte der Sicherheitsrat beschließen sollen, als Gaddafis Panzer auf Bengasi zurollten, um dort ein Blutbad unter der demonstrierenden Bevölkerung anzurichten?
Wohltuende Sachlichkeit
Zwei Islamwissenschaftler und Politikanalysten schreiben ihre Bücher über den IS vielleicht mit weniger Herzblut, dafür aber mit größerer Distanz, Guido Steinberg, Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, und Wilfried Buchta. Er hat viele Jahre als Analyst der UNO-Mission in Bagdad gearbeitet, kennt den Irak also aus eigenem Erleben. Beide Bücher unterscheiden sich wohltuend von den anderen durch ihre große Sachlichkeit.
Ursache auch in der islamischen Ideengeschicht
Anders als Todenhöfer zum Beispiel leiten beide das Denken und Handeln des IS und ihm verwandte Terrorgruppen auch aus der Religionsgeschichte des Islam ab. Der Hass zwischen Schiiten und Sunniten ist eben nicht das Resultat verfehlter Nahostpolitik der USA, nicht nur das Produkt von Bomben sondern uralt und in der Ideengeschichte des Islam immer wieder von Religionsgelehrten bewusst geschürt. Beide Autoren konzentrieren sich ganz auf den Zerfall der beiden Staaten Syrien und dem Irak. Sie machen dabei als verantwortlich mehr als nur den Westen aus. Die Kompromissunfähigkeit schiitischer Politiker im Irak oder Assads Politik haben genauso entscheidend dazu beigetragen wie auch der zunehmende Einfluss des Iran in der arabischen Welt. Und immer wieder Saudi Arabien. Beide Bücher liefern differenzierten Hintergrund. Ganz besonders gilt das für Buchtas Buch, das umfangreichste aller IS-Bücher. Geradezu detailbesessen zeigt der Autor Entwicklungslinie auf, die auch auf die Zeit vor der US-Invasion 2003 zurückgehen. Ihm und damit auch dem Leser kommt zugute, dass er durch seine UN-Arbeit im Irak über großes Insider-Wissen verfügt.
Zerstörte die Machtbalance im Nahen Osten
2003 ist auch für den ehemaligen FAZ-Korrespondenten Rainer Hermann das Jahr, das die Machtbalance im Nahen Osten nachhaltig zerstört hat. Die Folgen sind bis heute zu spüren. Er macht sogar Parallelen zum Dreißigjährigen Krieg in Europa aus: Glaubenskrieg zwischen Sunniten und Schiiten, der „rasch zum Kampf zwischen rivalisierende Ländern und Dynastien wird“. Von einem „Westfälischen Frieden“ seien die islamischen Länder noch weit entfernt, von einer Anerkennung der anderen Konfession also. An dieser Entwicklung haben alle Länder des Mittleren Ostens ihren Anteil, ob Iran oder Syriens Assad, ob Irak oder die Türkei aber auch Saudi Arabien.
Der Westen könne eigentlich nichts machen außer den Terror bekämpfen. Den Ausweg aus diesem Chaos aus Religion, Politik und Terror müssten am Ende die arabischen Länder selber finden.