Auch Massenmord kann zu einer Alltagsgefahr werden
Vier islamistische Anschläge in den vergangenen drei Wochen – und doch nahm die Öffentlichkeit die Schreckensmeldungen beinahe routiniert hin. Dabei hatte in London ein Attentäter mit einem Auto Jagd auf Fußgänger gemacht und fünf Menschen getötet. In der Metro von Sankt Petersburg riss ein Selbstmordattentäter 14 Menschen mit in den Tod. Vier Menschen starben in Stockholm, als ein Attentäter einen Lastwagen als Waffe missbrauchte. Zuletzt töteten Attentäter in Ägypten mindestens 44 Menschen bei einer Attacke auf zwei christliche Kirchen.
Manchmal ist das Leid zu weit entfernt
Seit dem Einsturz der World-Trade-Türme im Jahr 2001 hat die westliche Welt nach islamistischen Anschlägen immer wieder ihre Betroffenheit zum Ausdruck gebracht. In den vergangenen Jahren wurden Städte und Bewohner allerdings immer öfter zum Ziel von Attacken, worauf sich eine gewisse Routine der Trauer entwickelt hat. Der Ablauf: Zuerst sind die Menschen bestürzt, immerhin konnten Terroristen Schrecken in einem Umfeld verbreiten, das als sicher angesehen wurde. Es folgen Twitter-Hashtags wie #JeSuisCharlie, Politiker solidarisieren sich und veröffentlichen Statements, dass man sich von Terroristen den Lebensstil nicht verleiden lassen dürfe. Schließlich erstrahlt das Brandenburger Tor in den Farben des betroffenen Landes – als Geste für die Trauernden und des Mitgefühls.
Am Rande sei eine weitere Konstante erwähnt: Bluttaten in Ländern außerhalb der westlichen Hemisphäre werden selten betrauert, falls sie überhaupt wahrgenommen werden. Offenbar ist das menschliche Leid einfach zu weit entfernt. Und vielen Menschen fehlt vermutlich auch eine verbindende Gemeinsamkeit hinsichtlich Kultur und Werte, um sich betroffen zu fühlen.
Abgenutzte Solidaritätsbekundungen
Die Formen der Solidarität nach einem Unglück entwickeln sich ständig weiter. Wer würde heutzutage noch einen Tweet mit einem #prayforparis garnieren? An sich ist dies wenig überraschend, schließlich wird jedes Ritual zur Gewohnheit, das irgendwann nur noch inhaltsleer erscheint.
Ein weiteres Beispiel ist das Brandenburger Tor. Nach dem Anschlag in London waren noch die Farben des Union Jack auf dem nationalen Wahrzeichen zu sehen. So weit, so erwartbar. Allerdings verzichtete man anschließend auf eine Illumination der russischen Flagge. Die Begründung der Stadt Berlin: Nur wenn Partnerstädte von Anschlägen heimgesucht werden, erstrahle das Tor in den entsprechenden Länderfarben. Das klang konstruiert, mindestens aber gefühlskalt. Immerhin wurde auch im Fall Stockholms auf die Geste verzichtet.
An Schrecken verloren
Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut – das gilt auch für Terroristen. Beeindrucken können sie nur noch, wenn die Opferzahlen außergewöhnlich groß oder das Vorgehen extrem grausam sind. So ist es wenig verwunderlich, dass der Terrorismus in der öffentlichen Wahrnehmung an Wucht verloren hat. Als beispielsweise Anis Amri einen Lastwagen in einen Berliner Weihnachtsmarkt steuerte und zwölf Menschen tötete, reagierten die Bewohner der Hauptstadt besonnen bis gleichgültig.
Anschläge sind extreme und für die Betroffenen furchtbare Ereignisse. Westliche Städte werden jedoch in einer Regelmäßigkeit von Attentaten erschüttert, sodass die Menschen und die Öffentlichkeit gelernt haben, mit dem Schrecken umzugehen. Denn alles, was sich wiederholt, verliert an Überraschung, wird zur Normalität – egal wie furchtbar es an sich ist. Die Betroffenheit nimmt mit jedem weiteren Vorfall ab. Und der nächste Anschlag kommt bestimmt.