Atomkraft in EU-Taxonomie: Das schlägt die Europa-SPD vor
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Der Vorschlag der EU-Kommission in der Europäischen Taxonomie künftig auch Atomkraft und Erdgas als „nachhaltige“ Energieformen einzustufen, sorgt seit dem Jahreswechsel in Deutschland und anderen Ländern für Kritik. Doch sie allein dürfte nicht für eine Veränderung der Pläne ausreichen: Die Staaten rund um Frankreich, Polen und Finnland sind in der Mehrheit, Gegner der Atomkraft wie Deutschland oder Dänemark in der Minderheit.
Eine Abstimmung, ein demokratischer Prozess also, bei dem eine Seite gewinnt, die andere Seite verliert? So einfach ist es aus Sicht von Joachim Schuster nicht. Der SPD-Europaabgeordnete warnte am Mittwoch: „Die EU-Taxonomie wird nur eine Wirkung entfalten, wenn sie wissenschaftlich basiert ist.“ Und das bedeutet für Schuster, dass Atomkraft und Erdgas eben nicht als nachhaltigen Formen der Stromerzeugung eingestuft werden können. Es gehe bei Nachhaltigkeit nicht nur um die Frage, wieviel CO2 bei der Energiegewinnung anfalle, sondern beispielsweise auch darum, ob eine Kreislaufwirtschaft ohne Abfall bestehe. Davon könne beim atomaren Müll nicht die Rede sein. Schuster ist finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten im Parlament.
EU-Taxonomie nur „fauler Kompromiss“
Den Entwurf der Kommission bezeichnet Schuster als „faulen Kompromiss“. Komplett verdammen möchte der Sozialdemokrat aber weder Atomenergie noch Erdgas. Als Brückentechnologien für den Übergang hält er sie für sinnvoll. Deswegen plädiert Schuster für eine dritte Kategorie in der Taxonomie neben echt grünen, Erneuerbaren Energien und schmutzigen, fossilen Energieträgern: Energieformen, die für den Übergang notwendig, aber trotzdem nicht nachhaltig sind. „Das wäre kompromissfähig“, meint Schuster. Dem aktuellen Entwurf werde man als Europa-SPD im EU-Parlament nicht zustimmen.
Und er sieht die deutschen Sozialdemokrat*innen nicht allein im Parlament. „Es geht darum, dass diese Taxonomie funktioniert. So würde sie nicht funktionieren“, ist Schuster überzeugt. Naturwissenschaft lasse sich nicht in politische Deals fassen. Mehr noch: Für ihn ist der Vorschlag der Kommission der Versuch eines „Greenwashings“ – der Versuch, mit einem grünen Etikett etwas als nachhaltig oder klimafreundlich darzustellen, das es nicht ist. Damit werde aber auch die eigentliche Wirkung der Taxonomie verfehlt, soll sie doch Privatanleger*innen, Banken und Fonds eine dabei helfen, ihr Geld an der richtigen Stelle zu investieren. „Aber nur weil irgendwelche Politiker entscheiden, dass Kernenergie jetzt nachhaltig ist, stecke ich doch nicht mein Geld in Kernenergie“, kritisiert Schuster.
Briefe an die Kommission: Atomkraft „bernstein“ statt „grün“
Dass im Parlament die Bedenken über die Kritik der deutschen Sozialdemokratie hinausgehen, zeigt sich immer mehr. Medienberichten zufolge kritisieren 30 Abgeordnete aus vier verschiedenen Fraktionen im EU-Parlament die Taxonomie in einem offenen Brief an die Kommission und fordern eine öffentliche Befragung. Kritisiert wird in dem Schreiben unter anderem die kurze Beratungszeit. Zunächst war eine Einspruchsfrist von 14 Tagen vorgesehen. Unter dem Druck wurde sie um eine Woche verlängert, bis zum 21. Januar.
Aus der S&D-Fraktion ging am Donnerstag ein Brief an die EU-Kommission, in dem sie für die von Schuster beschriebene dritte Kategorie in der EU-Taxonomie werben. Die Fraktion, der die SPD-Abgeordneten angehören, schlägt für Energieformen, die nicht wirklich „grün“, aber auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft eine Rolle spielen können, die Farbe „Bernstein“ vor. Andernfalls fürchten die europäischen Sozialdemokrat*innen einen Vertrauensverlust in die Taxonomie und deren Kritieren für eine nachhaltige Energieerzeugung. Die vorgeschlagene dritte Kategorie für Gas und Atomkraft wäre dann nicht nachhaltig, würde aber den Nutzen dieser Energieträger auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft anerkennen, heißt es in dem Brief weiter, der unter anderem von Fraktionsvize Simona Bonafè unterschrieben ist.
Um Einspruch gegen den vorliegenden Entwurf zur EU-Taxonomie einzulegen, müsste bis Freitag entweder unter den Mitgliedsstaaten oder im Parlament Mehrheiten gefunden werden – das scheint weiterhin unwahrscheinlich zu sein. Aber selbst wenn sich damit das grüne Etikett nicht mehr verhindern lässt, hofft Joachim Schuster darauf, dass die Bundesregierung gegen den Entwurf stimmt, statt sich zu enthalten. „Deutschland muss da klar Farbe bekennen“, meint der Sozialdemokrat, „eine Enthaltung braucht man nicht.“
Dieser Artikel wurde am Donnerstag um 15 Uhr aktualisiert.