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Angeworben, ausgebeutet, verspottet

von Jörg Hafkemeyer · 4. Februar 2014

Am Freitag beginnen die Olympischen Winterspiele in Sotchi. Die Stadt am Schwarzen Meer wird dann zum Hochsicherheitsgebiet. Die Bauten für die Spiele wurden von tausenden Arbeitern hochgezogen – viele von ihnen warten noch immer auf ihren Lohn und werden denunziert.

Der Blick aus 2 200 Meter Höhe ist atemberaubend. Die schneebedeckten Gipfel und Hänge des  westlichen Kaukasus sind von wilder Schönheit. Der Blick nach Norden richtet sich auf ein fast unzugängliches, faszinierendes Gebirge. Einzigartig und gefährlich. Und der Blick hinab nach Krasnaja Poljana, in das rote Tal, holt den Besucher zurück in die Wirklichkeit. In die der Olympischen Winterspiele von Sotchi. Am Schwarzen Meer und am Fuß des Kaukasus gelegen. Dagestan, Inguschetien, Tschetschenien sind nicht weit. Die russischen Südprovinzen, in denen Macht, Gewalt und Terrorismus nicht zu kontrollieren sind. Nie wirklich zu kontrollieren waren. Weder unter den Zaren, noch unter den Kommunisten. Auch nicht in Putins Reich.

Die Verantwortlichen bei den Grenztruppen, bei der Polizei, den Einheiten des Innenministeriums sowie bei der Armee sind nervös. Sie haben vier Sicherheitsringe um die Stadt gezogen. Abgesehen von den Kontrollen zum Olympischen Dorf, an den Wettkampfstätten und den Hotels. Der Luftraum wird scharf überwacht, heißt es. Einzelheiten sind nicht zu erfahren. Der Hafen von Sotchi gleicht einem militärischen Sperrgebiet. Einheiten der russischen Schwarzmeerflotte und der Küstenwache sind auf See entlang der 145 km langen Stadt aufgezogen.

Komplettüberwachung

Die elektronische Überwachung hier, in der Stadt, auf und rund um den internationalen Flughafen Sotchi-Adler nahe der Grenze zu Georgien ist komplett. Ob dieser Aufwand in den 50 Milliarden Dollar drin ist, ist nicht bekannt. Es ist nicht einmal bekannt, wie hoch er überhaupt ist.

Nun sind nicht nur die explodierten Kosten unglaublich. Unglaublich ist auch welche Leistung die vielen tausend Arbeiter aus dem ganzen Land erbracht haben. Unter häufig unwürdigsten Umständen denunziert, schließlich vertrieben und nicht einmal bezahlt. Die, die sich darüber beschwerten, wurden bedroht, eingeschüchtert, verletzt, verspottet. In aller Öffentlichkeit. Wer fremd ausschaut, wird in den Straßen von Sotchi kontrolliert.

Der Bezirksgouverneur heißt Alexander Tkatschow. Bereits in September hatte er angekündigt, es könne „wieder Jagd auf illegale Zuwanderer“ gemacht werden. Die meisten Bauten seien nun fertig, da könnten ja die Fremden endlich wieder gehen. Widerspruchslos hörten ihm die Polizisten und Kosaken zu als er sagte: „In zwei Monaten gibt es hier keinen einzigen Illegalen mehr.“

Angeworben, doch nicht willkommen

Es gab zwei Klassen von Arbeitern in Sotchi und Krasnaja Poljana: Zum einen die Zwangsverpflichteten. Sie verdienen 20 000 Rubel im Monat. Das sind 423 Euro. Dazu gibt es als eine Art Trennungszulage 15 Euro pro Tag. Die andere Klasse waren die freiwilligen Arbeiter. Sie wurden mit einem Monatsgehalt von 45 000 Rubel angelockt. Etwa 1000 Euro. Das sind, um in den Worten des Gouverneurs zu bleiben, die Fremden. Und das sind die Arbeiter, von denen viele die ihr Geld nie bekamen.

Wie Gennadi Rostowski aus Charkow (Ukraine). Der eines Tages verschwunden war. Das war in dem ganzen Lärm und Staub, Gehämmer und Geschweiße zunächst überhaupt niemandem aufgefallen. Er war jahrelang einer von cirka 30 000 Arbeitern auf der größten Baustelle in Russland gewesen. Täglich zwölf Stunden Arbeit für einen Hungerlohn, der nicht einmal regelmäßig ausgezahlt wurde. Ob er verjagt wurde, ist nicht bekannt. Gennadi Rostowski ist weg. Die Unternehmen werden nicht bestraft. Auch das ist ein Ausschnitt der vorolympischen und olympischen Wirklichkeit am Schwarzen Meer.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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