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„Alle Franzosen, alle vereint“

Rund 1,5 Millionen Menschen sind am Sonntag in Paris für die Pressefreiheit und gegen Terror auf die Straße gegangen. Dabei waren auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und EU-Ratspräsident Martin Schulz. Es war ein Zeichen der Einheit, das die Menschen damit setzten.
von Christine Longin · 12. Januar 2015
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Die einzige, die sich an jenem Januarsonntag nicht bewegt auf dem Platz der Republik in Paris, ist die Marianne. Doch rund um das zehn Meter hohe Freiheitssymbol in Bronze wogt ein Menschenmeer, wie es die französische Hauptstadt seit Kriegsende nicht mehr gesehen hat. Rund 1,5 Millionen sind es, die in Paris gegen Terrorismus und für die Pressefreiheit auf die Straße gehen. Es ist eine mehr als deutliche Antwort auf die Anschlagserie mit 17 Toten in der vergangenen Woche. "Charlie Liberté" rufen die Jugendlichen, die auf den Sockel der Marianne geklettert sind. Immer wieder stimmen sie die Nationalhymne an und schwenken die französische Flagge.

"Charlie Hebdo" kennt seit vergangenen Mittwoch jeder, denn die Satirezeitung war das erste Ziel der Attentäter. Das Büro der Redaktion, wo die Brüder Kouachi zehn Journalisten und zwei Polizisten töteten, liegt nur wenige hundert Meter vom Platz der Republik entfernt. Hunderte Blumen und Kerzen erinnern dort an die Toten. "Ich war nicht immer einverstanden mit Charlie Hebdo“, sagt der 43-jährige François, der mit seiner Frau und seinem siebenjährigen Sohn gekommen ist. "Aber die Meinungsfreiheit muss bleiben."

Keine Angst zeigen

Angst vor weiteren Anschlägen will die Familie nicht aufkommen lassen. Ebenso wenig wie die 20-jährige Leila. "Es steht außer Frage, Angst zu zeigen", sagt die Muslimin, die mit ihren Freunden am großen Gedenkmarsch teilnimmt, "um die Muslime Frankreichs zu repräsentieren". Denn die Extremisten, die die Anschläge verübten, stehen nicht für den Islam – das weist sie entschieden zurück. "Alle Franzosen, alle vereint", steht auf dem handgeschriebenen Plakat, das ihr Freund in die Luft hält. Ähnliche Parolen sind auch auf den Spruchbändern zu finden, die andere Demonstranten mitgebracht haben. "Vereint gegen den Hass" fordert eines in blau-weiß-rot, das die Symbole der drei großen Religionen Frankreichs zeigt: Judentum, Christentum und Islam.

Es sind Vertreter aller drei Glaubensrichtungen, die sich am Sonntag versammeln. Der Dachverband jüdischer Organisationen hat ebenso dazu aufgerufen zu kommen wie die Imame der großen Moscheen. "Alle stehen auf" fordert das "Journal du Dimanche" am Sonntag auf seiner Titelseite. Und der Appell der Zeitung wird so stark befolgt, dass die Metro die Massen gar nicht alle rechtzeitig zum Platz der Republik bringen kann. Einige Ausgänge sind völlig verstopft, andere ohnehin aus Sicherheitsgründen geschlossen.

"An der Seite der französischen Freunde"

Tausende Soldaten und Polizisten wachen über die Menge, Scharfschützen stehen auf den Dächern. Und gerade der Polizei, die bei vielen Franzosen so unbeliebt ist, applaudieren die Demonstranten immer wieder. Denn auch drei Polizisten sind unter den Opfern.

Als sich der Trauerzug nach 15 Uhr ganz langsam in Bewegung setzt, gehen hinter den Angehörigen rund 50 Staats- und Regierungschefs aus Europa, dem Nahen Osten und anderen Teilen der Welt. In der Mitte der französische Präsident Francois Hollande, an seiner linken Seite untergehakt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), rechts der malische Staatschef Ibrahim Boubacar Keïta. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz sind dabei.

"Das Signal an die Menschen hier in Paris ist: Wir stehen fest und entschieden an der Seite unserer französischen Freunde und Nachbarn", sagt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). "Das ist unser Frankreich, das wir lieben", bemerkt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am Abend bewegt. Der SPD-Politiker besucht am Montag die Redaktion der Zeitung  "Libération", wo die Redaktion von "Charlie Hebdo" untergekommen ist. Sie will auch nach dem Anschlag weitermachen – mit einer neuen Ausgabe am Mittwoch.

Autor*in
Christine Longin

Christine Longin begann ihre journalistische Laufbahn bei der Nachrichtenagentur AFP, wo sie neun Jahre lang die Auslandsredaktion leitete. Seit vier Jahren ist sie Korrespondentin in Frankreich, zuerst für AFP und seit Juli für mehrere Zeitungen, darunter die Rheinische Post.

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