In Ägypten hat der blutige Machtkampf zwischen den beiden Lagern, den Muslimbrüder und dem Militär/Regierung, einen tiefen Graben in das Land gerissen.
Man hatte es am 3. Juli, dem Putschtag, schon ahnen können. Die Generäle hatten zwar von Verteidigung der Demokratie geredet, von Wahlen, von einer neuen Verfassung. In Wirklichkeit habe sie wohl etwas ganz anderes gemeint. Sie wollen, so vermute ich, die alten Verhältnisse wieder herstellen, aus Ägypten wieder ein Mubarakland machen, nur diesmal ohne Mubarak; denn der sitzt ja immer noch im Gefängnis, dem gleichen, in dem der erste frei gewählte Präsident des Landes Mursi entweder schon sitzt oder demnächst sitzen wird.
Das alte Machtkartell und die Wirtschaftselite waren nie weg, sie hatten sich nur weggeduckt nach dem 11. Februar 2011, waren teilweise ins Ausland gegangen, um dort während des arabischen Frühlings zu überwintern. Man konnte diesen Profiteuren des Mubarakregimes sogar in Deutschland begegnen. Auch der alte Sicherheitsapparat existierte immer noch und wartete auf seine Chance. Die bekam er am 14. August und nutze sie gründlich. Über 500 Tote, möglicherweise deutlich mehr.
Islamistsiche Einfalt oder Demokratie?
Das sind am Ende vermutlich mehr Tote an einem einzigen Tag als 2011 während der Tahrirplatz-Demonstrationen in 18 Tagen. Damals waren während der drei Wochen ungefähr 850 Ägypter ums Leben gekommen. Die neue Übergangsregierung nickt das alles wohlwollend ab. Es ist jene Regierung, die vor einem guten Monat schnelle Wahlen und Einbindung der Muslimbrüder versprochen hatte. Man konnte damals guter Hoffnung sein, wenn auch mit Bauchschmerzen.
Es gab nämlich Gründe am Putschtag nicht reflexartig auf die Barrikaden gegen das Militär zu gehen, vielleicht sogar gute. Mursi ist alles andere als ein in der Wolle gefärbter Demokrat. Seine Muslimbrüder, zumindest der völlig überalterte Führungskader, noch viel weniger.
Sie benutzten ihre religiös eingefärbte Ideologie, um Ägypten nach ihren islamistischen Vorstellungen umzuformen. Sie übersahen dabei völlig, dass Ägypten ein facettenreiches und vielfältiges Land ist mit Kopten, mit gläubigen aber nicht dogmatischen Muslimen, mit Liberalen, Sozialisten, selbst Kommunisten schwenkten ihre Hammer-und- Sichel-Fahnen auf dem Tahrirplatz während der Anti-Mursi-Proteste. Doch Muslimbrüder interessiert diese Vielfalt nicht, sie wollen islamistische Einfalt. Sie waren dabei, aus Ägypten einen religiös eingefärbten Einheitsstaat zu machen. So kann Demokratie nicht aussehen.
Versöhnungsprojekt ist gescheitert
So wie sie sich die Generäle offensichtlich vorstellen aber auch nicht. Der blutige Machtkampf zwischen den beiden Lagern, den Muslimbrüder und dem Militär/Regierung, hat einen tiefen Graben in das Land gerissen. Das Versöhnungsprojekt, das vor einem Monat vollmundig als Grundvoraussetzung für ein friedliches Ägypten angekündigt worden war, ist gescheitert. Es ist so gut wie unwahrscheinlich, dass sich Moslembrüder nach dem blutigen 14. August noch in eine Regierung der nationalen Einheit einbinden lassen. Ein Teil der Brüder wird vielleicht sogar in den Untergrund gehen.
Der Putsch ganz besonders aber der 14. August bestätigen den Muslimbrüdern nämlich eine von ihnen immer wieder vorgebrachte Anklage gegen den Westen. Der fordere Demokratie in den arabischen Ländern, wenn es aber so weit sei, dann ließe er höchstens zu, dass sie durch demokratische Wahlen an die Macht kämen, nicht aber an der Macht blieben.
Der „westlich-zionistische Komplott“ habe sich gegen sie verschworen und lasse so lange wählen, bis die gewonnen haben, die ihm genehm seien. Die demokratisch gewählte Hamas habe der Westen weltweit isoliert. Und in Algerien hätte das Militär 1992 einen korrekten Wahlprozess mit Gewalt beendet, aus dem die Islamisten als Sieger hervorgegangen wären, auch dieser Putsch im Auftrag des Westens. „Der Mossad und der Westen ist an allem schuld“, ist ein weitverbreitetes Vorurteil im Nahen Osten nicht nur bei den Brüdern. Aber wie bei fast allen Verschwörungstheorien enthalten sie auch einen wahren Kern.
Verantwortlich für diese Entwicklung sind die kompromisslosen Generäle genauso wie die sturen Muslimbrüder, die lieber auf Märtyrertum gesetzt haben als auf Machtteilung. Ägypten wird vorläufig nicht zur Ruhe kommen, dazu sind die Gräben zu tief.