International

Abtreibung in Europa heute: von der Fristenregelung bis zum totalen Verbot

Vor 25 Jahren, am 26. Juni 1992, beschloss der Bundestag, dass Schwangerschaftsabbrüche während der ersten zwölf Wochen straffrei sind. In vielen Ländern Europas hat es seitdem Liberalisierungen im Abtreibungsrecht gegeben. Doch in vier Staaten sind Abtreibungen bis heute verboten.
von Renate Faerber-Husemann · 26. Juni 2017
Die Sozialdemokraten in den neuen Ländern und Berlin wollen weiterhin im EU-Parlament vertreten sein.
Die Sozialdemokraten in den neuen Ländern und Berlin wollen weiterhin im EU-Parlament vertreten sein.

Eine Quizfrage: Von wem stammt dieses Zitat? „Zuerst Herodes, der die Kinder in Bethlehem umbringen lässt. Dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht.“ Diese Sätze fielen nicht in Polen oder Litauen, wo Konservative und Kirchenleute seit Jahren für ein noch radikaleres Abtreibungsverbot kämpfen, sondern in Deutschland. Am Dreikönigstag im Jahre 2005 waren sie im Kölner Dom Teil einer Predigt des damaligen Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner. Die Empörung war riesig, denn in Deutschland sind die Zeiten längst vorbei, in denen alte, zölibatäre Männer über die Lebensschicksale junger Frauen entschieden.

Karlsruhe: Abtreibung rechtswidrig aber straffrei

Nach einer 16-stündigen äußerst fair geführten Debatte verabschiedete der Bundestag, damals noch in Bonn, in der Nacht des 26. Juni 1992 eine Reform des Strafrechtsparagraphen 218, die diesen Namen wirklich verdiente. Seit 25 Jahren sagt das Gesetz: Nach einer vorgeschriebenen Beratung bleibt ein Schwangerschaftsabbruch während der ersten zwölf Wochen straffrei. Bis diese Regelung endlich in Kraft treten konnte, vergingen allerdings noch einmal drei Jahre, denn die bayerische Landesregierung hatte dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt – wie beim ersten Anlauf zur Fristenregelung 20 Jahre zuvor die baden-württembergische Regierung. Doch diesmal mit weniger Erfolg: Ein Abbruch während der ersten zwölf Wochen sei „rechtswidrig“, aber „straffrei“. Viele Frauen ärgerten sich über diese als demütigend empfundene Einschränkung, doch sie spielte im praktischen Leben keine Rolle.

Die Fristenregelung hatten die westdeutschen Frauen den Schwestern aus der DDR zu verdanken, die sich die ungeliebte, vom Bundesverfassungsgericht diktierte „Indikationenregelung“ nicht aufzwingen lassen wollten, die genau definierte: Ein Abbruch ist nur straffrei bei Gefahr für das Leben der Mutter, nach einer Vergewaltigung, bei schweren Schädigungen des Kindes oder bei einer sozialen Notlage. Es war ein Gesetz, das die Frauen zum Lügen geradezu zwang. In der DDR galt seit 1972 die Fristenregelung, und die wollten weder die Frauen noch die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern aufgeben.

Kampf um Abtreibung in Polen

In den meisten europäischen Ländern herrscht seit Jahrzehnten ein liberales Abtreibungsrecht. Deshalb gab es im erzkatholischen Polen heftigen und vorerst erfolgreichen Widerstand gegen die Pläne der rechtskonservativen  Regierungspartei PiS, Abtreibungen in Zukunft ausnahmslos zu verbieten. Der Streit tobt innerhalb und außerhalb des Parlamentes, denn heute schon ist das polnische Recht extrem hart. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur möglich nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter oder bei bleibenden Missbildungen des Fötus’. Eine „Gewissensklausel“ erlaubt es jedem Arzt, auch einen nach diesem strengen Recht legalen Abbruch zu verweigern.

Während die UN den Polen schon 2014 nahelegte, diese Regelungen zu lockern, ging es in die entgegengesetzte Richtung:  Illegale Abtreibungen sollten mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden können. Das galt nicht nur für Ärzte, sondern auch für die betroffenen Frauen. Es wundert nicht, dass die Zahl der legalen Abbrüche auf weniger als 2000 Fälle im Jahr gesunken ist. Die Polinnen werden das tun, was auch westdeutsche Frauen lange taten: Hilfe suchen im liberaleren Ausland.

Niederlande als Vorreiter der Liberalisierung

Als erstes europäisches Land legalisierte Island schon 1935 den Schwangerschaftsabbruch. Seit Mitte das 20. Jahrhunderts folgte ein europäisches Land nach dem anderen. Beispielhaft waren England und die Niederlande, was zu einem Abtreibungstourismus in diese Länder führte. Viele heute ältere Frauen in Deutschland werden sich an diese Zeiten noch gut erinnern.

Nach einer Untersuchung der Vereinten Nationen erlaubten 2013 schon 73 Prozent aller europäischen Regierungen einen Abbruch nach der Fristenregelung. Erstaunlicherweise hat Holland mit seiner liberalen Regelung die niedrigsten Abtreibungsquoten. Das liegt nach unterschiedlichen Untersuchungen vor allem an gründlicher Aufklärung und leichtem Zugang zu Verhütungsmitteln.

Spaniens Konservative scheiterten mit Reform

Besonders hart ist die Lage für ungewollt Schwangere nicht nur in Polen, sondern auch in Irland: Hier ist der Abbruch nur bei Lebensgefahr für die Mutter erlaubt. In Malta, San Marino, Liechtenstein und Andorra ist Abtreibung sogar grundsätzlich verboten.

Im katholischen Portugal gilt seit 2007 die Fristenregelung. In Spanien scheiterte die Regierung 2014 daran, das Rad zurückzudrehen. Es blieb bei der Fristenregelung. Allerdings müssen unter 18-Jährige seit 2014 eine elterliche Einverständniserklärung vorlegen. Eine bizarre Regelung gilt auf den Färöer-Inseln: Verheiratete Frauen können nur mit Zustimmung des Ehemannes abtreiben!

Gefägnisstrafen – eine leere Drohung

Alles in allem aber gilt: Selbst in europäischen Ländern mit restriktiven Gesetzen sind die Frauen nicht mehr hilflos. Sie finden Hilfe in Nachbarländern, so wie deutsche Frauen sie einst in Holland und England fanden. So bleibt selbst die Drohung mit Gefängnisstrafen eine leere Drohung.

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare