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Abschuss eines russischen Bombers: Eskaliert der Konflikt mit der Türkei?

Das Verhältnis zwischen Russland und der Türkei war schon länger belastet. Nach dem Abschuss eines russischen Bombers an der türkisch-syrischen Grenze machen sich Moskau und Ankara gegenseitig Vorwürfe. Kommt es zu einem bewaffneten Konflikt?
von Dmitri Stratievski · 25. November 2015
Russische Proteste gegen die Türkei
Russische Proteste gegen die Türkei

Die türkische Luftwaffe hat einen russischen Jagdbomber vom Typ SU-24 mit einer Luft-Luft-Rakete auf dem Rückflug zum Stützpunkt Hmeimim bei Latakia abgeschossen. Medienberichten zufolge sei ein Pilot ums Leben gekommen. Der Co-Pilot soll von einer regierungstreuen syrischen Einheit gerettet worden sein. Die Maschine sei exakt im türkisch-syrischen Grenzgebiet abgestützt.  Ungeachtet dessen wie sich die Situation weiter entwickelt, steht es momentan fest: Der Konflikt in  Syrien hat eine für die Sicherheit der ganzen Welt höchstbedrohliche Stufe erreicht.

Harsche Reaktionen aus Russland

Das russische Verteidigungsministerium beharrt darauf, dass der Kampfjet in syrischem Luftraum abgeschossen wurde. Zugleich löste der Vorfall eine beispiellose Protestwelle in der russischen Führungselite und der Bevölkerung aus. Wladimir Putin, der normalerweise verzögert auf ein politisches Ereignis reagiert, meldete sich binnen weniger Stunden nach dem Absturz zu Wort und nannte ihn „einen Schlag von hinten“ im Kampf gegen den Terrorismus und kündigte genauso wie Ministerpräsident Dmitrij Medwedew „Konsequenzen“ an.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte einen geplanten Ankara-Besuch ab. Nikolaj Lewitschew, stellvertretender Vorsitzender der Staatsduma, zog eine Verbindung zwischen den türkischen Streitkräften und der Terrororganisation „Islamischer Staat“ und warf der Türkei „Solidarität mit Terror“ vor. Seine Parlamentskollegen verlangten den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit der Türkei.

Die russischsprachigen sozialen Netzwerke quellen über vor Wut und Empörung. Gefordert werden „Vergeltungsschläge“ gegen die Türkei. Eine Facebook-Initiative ruft zum Boykott türkischer Waren auf. Das Außenministerium und die Agentur für Tourismus sprachen eine Reisewarnung für das von den Russen beliebte Erholungsland Türkei aus.

Die NATO mahnt zur Ruhe und Vorsicht

Das türkische Militär besteht unterdessen auf der Rechtmäßigkeit seiner Handlung. Der russische Bomber sei in den türkischen Luftraum eingedrungen und habe mehrere Warnungen missachtet. Präsident Erdoğan bestätigte den Abschuss, sein Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu verteidigte das Vorgehen. Der 2014 aus der Haft entlassene Vorsitzende der nationalistischen Heimatpartei Doğu Perinçek meinte gar, das russische Flugzeug habe „die Zukunft der Türkei und die territoriale Integrität“ des Landes infrage gestellt.

Das amerikanische Verteidigungsministerium stärkte seinem Verbündeten den Rücken, distanzierte sich jedoch gleichzeitig von dem Zwischenfall und bestritt jede US-Beteiligung. In der NATO sind die Partner uneinig, welche Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen werden sollten. Der tschechische Staatspräsident Miloš Zeman stufte den Abschuss als „radikal“ ein. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich besorgt: „Ich hoffe, dass beide Hauptstädte direkt miteinander ins Gespräch kommen und dass man dort um die eigene Verantwortung weiß, wenn es um Reaktionen und Gegenreaktionen geht.“ In einer NATO-Sondersitzung mehrten sich die kritischen Stimmen. Der Haupttenor mahnte aber „Ruhe und Vorsicht“.

Was das türkisch-russische Verhältnis belastet

Die russisch-türkischen Beziehungen hatten bereits vor dem Abschuss der SU-24 einen Tiefpunkt erreicht. Von der „Männerfreundschaft“ zwischen Putin und Erdoğan kann schon länger keine Rede mehr sein. Die vereinbarte Zusammenarbeit beim Pipeline-Projekt „Turkish Stream“ liegt ebenfalls auf Eis. Die Verbindung sollte russische Gaslieferungen auf einer südlichen Route sicherstellen. Mit dem Beginn der russischen Militäroperation in Syrien wurde das Prestigeprojekt faktisch begraben.

Wie geht es nun weiter? Vieles wird davon abhängen, ob die Konfliktparteien stichhaltige Beweise für eine Verletzung des türkischen Luftraumes durch das russische Flugzeug liefern können. Genauso bedeutsam ist die Frage nach den Warnmeldungen von Seiten der türkischen Luftabwehr, die zum Beispiel mit einer Tonaufzeichnung belegt werden könnten.

Fakt ist, die Türkei und Russland stehen kurz vor einer Eskalation der Lage. Der Vorfall zeigt deutlich, dass jede wirtschaftliche Zusammenarbeit ohne geostrategische Grundlage auf einem schwankenden Boden steht. Die russische Seite ist nicht nur wegen des Abschusses verärgert, sondern auch wegen der fehlenden Bereitschaft Ankaras, den Zwischenfall schnell gemeinsam aufzuklären.

Ein Konflikt würde Russland und der Türkei schaden

Ein fortschreitender Konflikt hätte für beide Seiten gravierende Folgen – wirtschaftlich wie militärisch. Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die finanziell angeschlagene Türkei. Für viele Russen ist das Land ein beliebtes Urlaubsziel. Dies könnte sich durch die Auseinandersetzung ändern. Auch auf militärischem Gebiet hat Russland die besseren Karten: Die russischen Abwehrsysteme sind fähig, türkische Drohnen an der Grenze zu Syrien abzufangen. Dies würde die Unterstützung Ankaras für die türkeitreuen Kampfverbände in Syrien, beispielsweise für die turkmenischen Gruppen, wesentlich erschweren.

Anscheinend plant Moskau aber eher eine Beruhigung des Konflikts. Der Vorschlag des russischen Botschafters in Paris Alexandr Orlow, einen gemeinsamen Stab für die Syrien-Militäreinsätze zu gründen, auch unter Beteiligung der Türkei, verfolgt das Ziel, die Entschlossenheit Russlands im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ trotz Verlusten zu unterstreichen. Hinzu kommt: Russland hat nur begrenzte militärische Ressourcen und versucht auch aus innenpolitischen Gründen zurzeit, außenpolitisch mit Erfolgen zu glänzen. Ein dauerhafter Konflikt mit der Türkei käme da ungelegen.

Autor*in
Dmitri Stratievski

ist promovierter Historiker, Politologe und Osteuropa-Experte.

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