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100-Tage-Plan: Was Joe Biden nach seiner Amtseinführung vorhat

Mit seiner offiziellen Amtseinführung am Mittwoch tritt der neue US-Präsidenten Joe Biden ein schweres Erbe an. Neben dem Kampf gegen Corona gilt es, die soziale Situation im Land zu stabilisieren. Die politischen Mehrheiten dazu hat er.
von Knut Dethlefsen · 20. Januar 2021
Letzte Pinselstriche vor der Amtseinführung: Auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden und seine Stellvertreterin Kamala Harris warten in den ersten Wochen große Aufgaben.
Letzte Pinselstriche vor der Amtseinführung: Auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden und seine Stellvertreterin Kamala Harris warten in den ersten Wochen große Aufgaben.

Dieser Mittwoch ist ein Tag der Freude – trotz alledem. Der größere Teil der USA und auch der Welt ist froh, Donald Trump endlich hinter sich zu lassen. Dieser 20. Januar ist ein historischer Tag, auch weil die USA mit Kamala Harris die erste nichtweiße Vizepräsidentin bekommen. Nach vier Jahren Trump, nach fast zwei Jahren aufreibenden Wahlkämpfen, nach einem Jahr in der Corona-Pandemie und elf langen konfliktreichen Wochen zwischen Wahl und Amtsübergabe übernimmt Joe Biden eine nervöse Nation und eine Gesellschaft in der Krise.

Progressive Agenda mit Augenmaß und Verstand

Biden ist als Präsident vielversprechend. Mit seinen fünfzig Jahren politischer Erfahrung, mit seiner Integrität und seiner Menschlichkeit hat er die Wahl gewonnen, weil die Mehrheit ihm zutraut, dass er die USA aus der Krise führen kann. Zusammen mit Kamala Harris ist er mit einer progressiven Agenda angetreten, die eine Politik mit Augenmaß und Verstand verspricht. Die Gesellschaft soll sich zum Besseren verändern.

Joe Biden will die Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen entlasten. Die zentralen Lebensrisiken wie Krankheit und Arbeitslosigkeit sollen besser abgesichert werden, Zugänge zu Bildung und bezahlbarem Wohnraum sollen verbessert sowie Pflege und frühe Erziehung stark gefördert werden, damit alle Familien daran teilhaben können, wenn sie es benötigen. Große Konjunkturprogramme sollen die USA zukunftsfähig machen und den Umbau der Industriegesellschaft voranbringen.

Joe Biden hat das Mandat für Veränderung und Gestaltung

Die Biden-Harris-Agenda bedeutet keine Revolution, aber sie ist machbar und könnte schnell Ergebnisse erzielen. Joe Biden hat das politische Mandat für Veränderung und Gestaltung. Er ist gewählt worden, um es anders und besser zu machen als Trump. In den kommenden zwei Jahren hat er auch die notwendige parlamentarische Unterstützung für sein Reformprogramm. Sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat haben die Demokraten die Mehrheit.

Die Liste für die ersten 100 Tage könnte wohl kaum länger sein. Es ist nicht nur die Zahl der Krisen, die die USA unter der neuen Administration bewältigen müssen, sondern die Dringlichkeit, mit der sie mit diesen konfrontiert sind. Seit Monaten befindet sich das Land in einer Art Ausnahmesituation wegen der Covid-19 Pandemie, die völlig außer Kontrolle geraten ist. Eine große Belastung stellen die negativen wirtschaftlichen Folgen mit hoher Arbeitslosigkeit dar. Gleichzeitig sind die USA innenpolitisch nach vier Jahren Trump geschwächt. Die Gesellschaft bleibt zerrissen und fast ein Drittel der Wähler*innen betrachtet Biden-Harris nicht als eindeutig legitime Administration.

Das Wichtigste zuerst

Für die neue Regierung wird eine Art „Policy Triage“ notwendig sein, um das Wichtigste wirklich zuerst anzupacken. Auch wenn die Versuchung groß ist, alles auf einmal machen zu wollen, gibt es nur begrenztes politisches Kapital und wenn überhaupt auch nur einen sehr begrenzten Willen der Zusammenarbeit bei einigen Republikanern im Kongress. Über all dem schwebt zudem die Frage, wie Trump zur Rechenschaft gezogen werden soll: Das Amtenthebungsverfahren gegen ihn wird in Kürze im Senat eröffnet werden, gleichzeitig hat der Senat damit begonnen, Bidens Kabinettsmitglieder zu bestätigen. Bald wird der neue Präsident die ersten Gesetzesvorschläge einbringen wollen. Das wird ein gewaltiger Kraftakt werden, doch Biden hat genug Kongresserfahrung, um die parallellaufenden Prozesse anzugehen.

Ihren Fahrplan für die ersten Wochen nach der Amtsübernahme haben Joe Biden und Kamala Harris bereits aufgestellt. Zum „Build Back Better“ Rettungsplan im Umfang von 1,9 Billionen US-Dollar, den Bidens Demokraten gleich nach Amtsantritt in den Kongress einbringen wollen, gehören direkte Barzahlungen an die Mehrheit der Arbeitnehmer*innen, eine erweiterte Arbeitslosenversicherung, Mietzuschüsse, Nahrungsmittelhilfe und staatliche Hilfen für kleine Unternehmen. Es soll u.a. mit Steuergutschriften für Kindererziehung für Haushalte mit niedrigen Einkommen für Entlastung gesorgt werden. Auch eine Verdopplung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar sieht das Gesamtpaket vor. Werden die Maßnahmen erfolgreich umgesetzt, könnten damit zwölf Millionen Amerikaner*innen aus der Armut befreit und die Kinderarmut halbiert werden.

Task Force gegen Corona

Bidens Rettungsplan versteht sich als Sofortmaßnahme, die von weiteren, längerfristig angelegten Gesetzesinitiativen gefolgt werden soll. 400 Milliarden US-Dollar sollen für die Bekämpfung der Corona-Pandemie mit einem nationalen Impfprogramm, Aufklärung sowie der Ausweitung von kostenlosen Tests und Nachverfolgung verwendet werden. Mehr als eine Billion US-Dollar sind als direkte Zahlungen für Haushalte bzw. Familien angekündigt worden.

Zur besseren Koordinierung der Pandemiebekämpfung berief Biden eine Coronavirus-Task-Force unter Leitung von David Kessler, des früheren Chefs der Food and Drug Administration (FDA). Erwartet wird auch, dass Biden am Tag eins die USA wieder in die Gemeinschaft der Weltgesundheitsorganisation führen und Anthony Fauci im Amt des Direktors des Nationalen Instituts für Allergie und Infektionskrankheiten bestätigen wird.

Große Unterstützung für Biden

Die öffentliche Meinung ist dabei auf Bidens Seite, wenn vielleicht auch nur für kurze Zeit. Einer aktuellen PEW-Studie zufolge, stimmen 58 Prozent aller Amerikaner*innen Biden und seinen Plänen zu. 57 Prozent sind mit seiner Regierungsbildung und seinen Berufungen für hohe Regierungsämter einverstanden. Und 46 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass Joe Biden die Arbeit der Bundesregierung verbessern wird. Wird er mit seinem Programm Erfolg haben, dürfte er weiter zulegen in der Bewertung, nur bleibt ihm dafür nicht viel Zeit, da die amerikanische Gesellschaft eher ungeduldig ist.

Joe Biden hat also gute Chancen, große Teile des Rettungsplans auf den Weg zu bringen und letztendlich umzusetzen. Damit wäre aber nicht alles gut, sondern nur einiges besser. Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft wird auch in den vier Jahren einer Biden-Harris-Regierung nicht überwunden sein.

Der 46. Präsident der USA war sich dessen bewusst, als er sagte: „Einigkeit ist kein Wunschtraum, sondern ein praktischer Schritt, um die Dinge, die wir als Land zu erledigen haben, gemeinsam bewältigen.“ Kluge Reformen in Wirtschaft und Arbeitsmarkt können eine Transformation hin zu einer auf Arbeitnehmerinteressen ausgerichteten und nachhaltigen, klimaneutralen Wirtschaft sowie einer weniger gespaltenen Gesellschaft einleiten. Bidens Rettungsplan wäre ein erster Meilenstein auf dem Weg dorthin.

Autor*in
Knut Dethlefsen

ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in den USA.

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