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100 Tage Francois Hollande

von Lutz Hermann · 7. August 2012

Frankreichs neuer Staatschef gibt sich entspannt. Er hat den Bürgern versprochen, ein stinknormaler Präsident zu sein. Im Gegensatz zu seinem hyperaktiven und unberechenbaren Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy.

Völlig ungezwungen nahm der Sozialist mit seiner Partnerin Valéry Trierweiler den TGV-Hochgeschwindigkeitszug zu dreiwöchigen Ferien im Süden. Vermutlich wird er auf der Sommerresidenz der französischen Präsidenten, Schloss Brégancon, ein Glas Champagner auf die ersten 100 Tage seiner Regierungszeit trinken.

Der neue Mieter des Elyséepalastes hat allen Grund dazu. Zwar hellt sich für ihn die schwierige soziale und wirtschaftliche Lage des Landes nicht auf, aber die Mehrheit der Franzosen ist mit seiner Wahl am 6. Mai (52 Prozent) zufrieden. Das braucht nicht zu überraschen, noch hat der 57-Jährige keine heiße Eisen angepackt. Unter Dach und Fach ist erst einmal der Nachtragshaushalt 2012, der dem Staat 7,2 Milliarden Euro einbringt, 4,2 Mrd. Euro vom Steuerzahler (Reiche, Vermögende, Steuersünder) und 3 Mrd. Euro durch eine höhere Belastung der Spitzenunternehmen an der Pariser Börse (CAC). Grausamkeiten sind für den Herbst geplant.

Arbeitslosigkeit steigt auf 11 Prozent

Zwei Wahlversprechen von Hollande werden eingelöst. Erstens: Überstunden sind nicht mehr steuerfrei. Amtsvorgänger Sarkozy hatte zur Regel gemacht, wer mehr arbeite, soll auch mehr verdienen. Zweitens: Wer mehr als eine Million Euro im Jahr verdient, zahlt 75 Prozent vom Mehreinkommen an den Fiskus. Eine nationale Finanztransaktionssteuer sieht vor, dass Unternehmen 0,2 Prozent für Geschäfte mit Wertpapieren abzwacken müssen. Im Herbst könnte eine Welle von Entlassungen das Sozialklima verschärfen; eine Arbeitslosenquote von über 11 Prozent ist nicht ausgeschlossen. Ob Frankreichs Wirtschaftswachstum mehr als ein Prozent erreicht, steht in den Sternen.

Außen- und europapolitisch erhält der Präsident Beifall. Die Verurteilung des syrischen Diktators ist deutlich und klar. Sie erinnert an das Vorgehen von Sarkozy gegen den libyschen Tyrannen Gaddafi. Die Franzosen räumen ein,  dass ihr Staatschef in der Eurokrise eine gute Figur macht: EU-Partner haben sich seiner Forderung nach Aufnahme von Wachstumszielen im EU-Fiskalvertrag angeschlossen. Italien und Spanien scheinen auf seiner Seite zu stehen. Auf manche wirkt das taktische Bündnis mit den wichtigsten Südländern wie eine Gegenposition zu Angela Merkel, die an die ursprünglichen Aufgaben der Europäischen Zentralbank (EZB) erinnert und Schuldenberge nicht vergemeinschaften will.

Industrielle Abrüstung

Hollande hat eine magere Bilanz von seinem Vorgänger übernommen. Die hohe Arbeitslosigkeit ist ihm zu verdanken. Der Abbau tausender Jobs in der Industrie ist aber nicht allein seine Hinterlassenschaft; Unterlassungen des konservativen Sarkozy-Vorgängers Jacques Chirac (1995-2007) sind ein weiterer Grund, dass Frankreich industriell abgerüstet hat.

Die Probleme des Autokonzerns Peugeot erinnern krass an die industriepolitischen Fehler der früheren Regierung: 8.000 Mitarbeiter müssen entlassen werden. Das Werk in Aulnay-sous-Bois (3000 Stellen), das für die Gewerkschaftsbewegung eine symbolische Bedeutung hat, soll geschlossen werden. Massentlassungen stehen auch in anderen Betrieben an. So wird für das soziale Klima entscheidend sein, wie sich die Gewerkschaften im Herbst verhalten werden, wenn die Regierung rigorose Einsparungen beschließt und der Mittelschicht, wo das Kernreservoir der Wähler der Sozialisten liegt, keine Grausamkeiten ersparen wird.

Ministergehaltskürzung kam gut an

Nach 100 Tagen wird sein Regierungsstil als angenehmer, weniger prätentiös und sachbezogener empfunden. Der symbolische Beschluss, die Gehälter der 34 Minister um 30 Prozent zu kürzen, ist gut angekommen. Doch die Schonfrist ist für Hollande vorbei. Die Popularitätskurve zeigt leicht nach unten. Dass der Präsident den TGV für seinen Urlaub genutzt hat, wird als bürgernah und solidarisch eingestuft. Die Symbolik aber hat ihre Grenzen: Jetzt will der Franzose seine Kaufkraft, seinen Arbeitsplatz und seinen Lebensstandard gesichert sehen. Francois Hollande muss liefern.

Autor*in
Lutz Hermann

ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).

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