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100 Jahre ILO: Regeln für die digitale Arbeit durchsetzen

100 Jahre wird die Internationale Arbeitsorganisation ILO alt. In ihren Bericht zur Zukunft der Arbeit fordert sie grundlegende Rechte für alle Arbeitenden. Auch, dass der Mensch die Letztentscheidung behalten muss und nicht an Künstliche Intelligenz abgeben darf. Doch wie lassen sich Regeln für den digitalen Kapitalismus durchsetzen?
von Vera Rosigkeit · 14. März 2019
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Im Januar hat die Internationale Arbeitsorganisation ILO einen Bericht zur Zukunft der Arbeit vorgestellt. Sie waren Mitglied der Kommission. Was muss aus Ihrer Sicht ganz oben auf die Prioritätenliste, wenn es um Arbeitnehmerrechte in Zeiten des technologischen Wandels geht?

Wir müssen sicherstellen, dass es Rechte gibt, die für jeden gelten, unabhängig davon, ob jemand einen Arbeitsvertrag hat, formal selbstständig oder in informeller Beschäftigung tätig ist. Neben dem Recht, sich in Gewerkschaften zusammen zu schließen und gemeinsam Interessen zu verhandeln, gehört dazu auch eine Entlohnung, die den Lebensunterhalt sichert, eine Begrenzung der Arbeitszeit und ­Arbeitsplätze, die sicher und gesund sind. Das ist vor allem bei Solo-Selbstständigen ein wichtiger Punkt.

Sind damit auch Beschäftigte gemeint, die über sogenannte digitale Plattformen arbeiten?
Ja. Viele Eigner dieser Plattformen erklären, dass sie nur zwischen Auftraggebern und selbstständig arbeitenden Leistungserbringern vermitteln, also keine Arbeitgeber sind. Sie zahlen weder Mindestlohn noch Sozialversicherungsbeiträge. Das kann aus Sicht der Kommission nicht sein. Dafür brauchen wir Regelungen.

Gibt es Beispiele dafür, wo solche Regeln im Interesse der Beschäftigten bereits umgesetzt wurden?
In den USA hat es bereits Urteile dazu gegeben, dass beispielsweise die Fahrer von UBER als Arbeitnehmer zu behandeln sind und damit auch Anspruch auf Mindestlohn und Krankenversicherung haben. In Deutschland gibt es unterschiedliche Geschäftsmodelle. Bei Plattformen, die Reinigungskräfte in Privathaushalte vermitteln, gibt es Firmen, die dies mit offiziell Selbstständigen machen und andere, die das mit fest angestellten Arbeitskräften tun, auch weil die Kunden das so wünschen. Ganz gleich, ob die Betreiber der Plattformen als Arbeitgeber gelten oder die Auftraggeber die Arbeitgeber sind, entscheidend ist, sie zu verpflichten, die Mindeststandards einzuhalten.


Eine Forderung der Kommission lautet, dass der Mensch die Letztentscheidung behalten muss und nicht an Künstliche Intelligenz abgeben darf. Welche Gefahren drohen da in dem Bereich?
Wir gehen davon aus, dass eine Künstliche Intelligenz bestimmte moralische Qualitäten nicht erreichen kann und wir ihr auch keine moralischen Entscheidungen überlassen sollten. In Bereichen, die besonders sensibel sind, wie eben im Bereich der Arbeit, sollte deshalb die Letztentscheidung immer beim Menschen liegen. Das trifft genauso auch auf komplett autonome Waffensysteme zu wie auch bei medizinischen Eingriffen, wo letztlich Arzt und Patient entscheiden sollten, was gemacht wird. Am Ende muss es eine Verantwortlichkeit geben.

Was bedeutet das in einer Zeit, in der ein neoliberales Wirtschaftsmodell auf dem Vormarsch ist, das nicht für mehr, sondern für weniger Regeln steht?
Neoliberalismus – auch in der Form eines Silicon-Valley-Kapitalismus – tendiert dahin, möglichst wenig Regeln aufzustellen und ist sehr technikgläubig, bis hin zur Hoffnung, dass man den Menschen perfektionieren oder sogar durch die Technologie überwinden kann. Da gibt es viele, durchaus erschreckende Fantasien. In unserer sozialen Marktwirtschaft besteht eher ein Konsens darüber, dass der Mensch auch in der Arbeitswelt im Mittelpunkt stehen muss und Maschinen, ob nun Roboter oder Künstliche Intelligenz, Hilfsmittel bleiben sollten. Da gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen sozialdemokratisch oder neoliberal ausgerichteter Politik. Auf die Sozialdemokratie kommt hier eine enorme Aufgabe zu, nämlich Regeln für den digitalen Kapitalismus zu entwickeln und durchzusetzen.

Wie schafft man die Verbindlichkeit, dass die Regeln auch weltweit umgesetzt werden?
Die ILO als älteste Sonderorganisation der Vereinten Nationen hat eine Gremienstruktur, in der nicht nur die Regierungen der Länder, sondern auch Gewerkschaften und Arbeitgeber vertreten sind. Damit ist die ILO sehr nah an der Realität des Arbeitslebens und es gibt einen grundsätzlichen Konsens – bei vielen Konflikten im Detail – was bestimmte Standards von Arbeit angeht. Indem man sich international auf bestimmte Standards einigt und die einzelnen Länder diesen Konventionen beitreten, sind sie auch zur Umsetzung verpflichtet. Der Kampf gegen Kinderarbeit wäre sonst nicht so erfolgreich zu führen. Diese Strukturen sollten wir auch nutzen, um globaler digitaler Arbeit Regeln zu geben und Rechte von Arbeitenden zu schützen.

*Thorben Albrecht ist Bundesgeschäftsführer der SPD und Mitglied in der Globalen Kommission für die Zukunft der Arbeit der ILO . Von 2014 bis 2018 war er Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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