Die Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren hat in der Bundesrepublik eine Debatte provoziert, die von ebenso viel Vorurteilen und Stammtischparolen geprägt ist, wie von berechtigten Sorgen der Bürger und Kommunalpolitiker vor weiteren Armutszuwanderungen.
Schon zu Beginn des Jahres hat der bayerische Löwe alias CSU Ministerpräsident Horst Seehofer wieder einmal gebrüllt: „Wer betrügt, der fliegt“. Doch nicht Ulli Hoeneß und seine Millionen von Steuerhinterziehungen waren gemeint und auch nicht der neue Generalsekretär Klaus-Dieter Scheuerle, der seinen Einstand mit einem Skandal um seinen „Dr. light aus Tschechien“ gab. Seehofer meint die Menschen aus den EU-Mitgliedsländern Bulgarien und Rumänien, für die seit Anfang 2014 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt.
Und völlig unbeeindruckt von den Tatsachen wird einfach behauptet: Rumänen und Bulgaren, teilweise behaftet mit dem Menetekel der auch in ihren Ländern diskriminierten Roma, würden massenweise in die Bundesrepublik strömen, um die Sozialkassen zu plündern. Dies hat eine Debatte in der Bundesrepublik provoziert, die von ebenso viel Vorurteilen und Stammtischparolen geprägt ist, wie von berechtigten Sorgen der Bürger und Kommunalpolitikern vor weiteren Armutszuwanderungen.
Recht auf Gleichbehandlung nur unter bestimmten Bedingungen
Als konstitutives Element gilt in der EU die allgemeine Freizügigkeit auch für Wanderungen von Arbeitnehmern. Erst 2000 wurde das Gesetz in mehreren rechtlich verbindlichen Richtlinien gegen jegliche Art arbeits- und zivilrechtlicher Diskriminierung erhärtet und in den Folgejahren in die nationale Gesetzgebung der Mitgliedstaaten eingeführt. In der Bundesrepublik hat es immerhin neun Jahre gedauert, bis das Antidiskriminierungsgesetz (AGG) endlich verabschiedet werden konnte. Wie die EU-Kommission allerdings feststellen muss, gibt es nach wie vor erhebliche Mängel bei der praktischen Durchsetzung- so auch in der Bundesrepublik.
Allerdings bestehen auch nach EU Recht verschiedene Hürden, die Zuwanderer aus europäischen Mitgliedsländern zu beachten haben, wenn sie Sozialleistungen in der Bundesrepublik beanspruchen. EU-Ausländer, die volle Freizügigkeit genießen, haben zwar ein grundsätzliches Recht auf Gleichbehandlung mit den Menschen im Inland- jedoch unter besetimmten Bedingungen:
- Kindergeld steht schon jetzt jedem EU-Ausländer zu. Auch dann, wenn die Kinder nicht in Deutschland leben
- Arbeitslosengeld I bekommen EU-Bürger wie Deutsche, die mindestens ein Jahr in einem festen Arbeitsverhältnis tätig waren, also in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben
- Auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) – also die Grundsicherung für Erwerbsfähige – haben EU-Ausländer in Deutschland allerdings nicht automatisch Anspruch. In den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts ist ein Bezug von Arbeitslosengeld II sogar ausgeschlossen. Wer länger als sechs Monate in Deutschland sozialversicherungspflichtig angestellt war und unverschuldet seinen Job verliert, hat in der Regel Anspruch auf Arbeitslosengeld II
- Selbstständige EU-Ausländer haben ab dem ersten Tag grundsätzlich Anspruch auf aufstockendes Arbeitslosengeld II.
Stein des Anstoßes für den Streit mit der EU Kommission ist § 7 des deutschen Sozialgesetzbuches II. Dort heißt es, dass EU-Bürger keine Sozialleistung (z.B. Arbeitslosengeld II) bekommen, wenn sie sich "ausschließlich aus dem Zweck der Arbeitssuche" in Deutschland aufhalten. Diese Regelung und deren juristische Auslegung sind jedoch umstritten, weil für alle EU-Bürger der Gleichheitsgrundsatz gilt. Zur weiteren rechtlichen Klärung wird zurzeit eine Klage vor dem Europäischen Gerichthof geführt.
Bayerische Kommunalwahl im März, Europawahl im Mai
Dies ist Wasser auf die Mühlen der CSU sowie ihren Ministerpräsidenten, der sich und seine Politik nicht nur auf die Europawahlen am 25. Mai fixiert, sondern auch die am 14. März anstehenden Kommunalwahlen. Welches Thema könnte sich für die bewährte Stammtisch-Demagogie des Horst Seehofer besser eigenen, als das Schüren der Ängste vor Armutszuwanderungen von Roma und Sinti? Dabei darf keinesfalls verdrängt werden: In Bayern und anderen Bundesländern gibt es in sozialen Brennpunkten vor allem der Zuwanderungsmetropolen München, Frankfurt, Duisburg oder Dortmund erhebliche Mängel bei der gesellschaftlichen Integration der auch in ihren Ländern infolge ihrer ethnischen Herkunft diskriminierten Menschen aus Rumänien und Bulgarien.
Es ist daher dringend erforderlich, bei dieser aufgeheizten politischen Diskussion zur Sachlichkeit zurückzufinden. Hierzu haben die Bundesagentur für Arbeit und ihre Institut für Arbeit (IAB) hilfreiche Anhaltspunkte aufgezeigt:
- Die Nettozuwanderungen könnten sich nach Einführung der Freizügigkeit 2014 etwa auf 140 000 verdoppeln. Dies wäre ein mittlerer Wert der vom IAB geschätzten Bandbreite zwischen 100 000 und 180 000.
- Schon in der Vergangenheit hatten die Neuzuwanderer aus diesen beiden Beitrittsländern ein höheres Qualifikationsniveau und geringere Arbeitslosigkeit als andere Ausländer in der Bundesrepublik
- Viele der gerade aus Bulgarien und Rumänien zuwandernden Arbeitnehmer sind die in der Bundesrepublik händeringend gesuchten Fachkräfte im Gesundheitsbereich. Das Problem ist dabei eher der „Brain Drain“ in ihren Heimatländern. Dort droht ein „Ausverkauf“ ihrer mit hohen eigenen Kosten finanzierten Ausbildung sowie der dringend erforderlichen gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung.
- Die Zuwanderungen aus diesen beiden EU Ländern konzentrieren sich mit wenigen Ausnahmen auf die wirtschaftlich starken Städte wie München, Frankfurt und Offenbach. Ein größeres Problem stellt allerdings die ebenfalls erhebliche Zuwanderung in solchen wirtschaftlich schwachen Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit wie Duisburg und Dortmund dar.
„Hausaufgaben“ für die nationale Politik
Abzuwarten ist, wie sich die Zuwanderungen nach Quantität und Qualität aus diesen beiden neuen Mitgliedsländern nach Beginn der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit seit Anfang dieses Jahres entwickeln werden. Dabei weist das IAB darauf hin, dass für die übrigen Mitgliedsländer aus Mittel –und Osteuropa nach Beginn der Freizügigkeit 2004 Arbeitslosigkeit und SGB II Bezug zurückgegangen und nicht gestiegen.
Dringend notwendig ist, dass die „Hausaufgaben“ in der inländischen Politik gemacht werden. Dabei geht es vor allem um die wirksame Bekämpfung illegaler Beschäftigung- insbesondere im grenzüberschreitenden Bereich:
Verhinderung illegaler Einschleusung von Arbeitskräften auf den schwarzen und grauen Märkten des Bauwesens, der Schlachter sowie anderer ähnlicher Handwerksberufe, der gering qualifizierten Gaststätten-, Betreuungs-, Pflege- und Reinigungstätigkeiten. Hierbei geht es vor allem um die praktische Umsetzung der europäischen und nationalen Gesetzgebung zur Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping. Ebenso erforderlich ist die Verbesserung der finanziellen Ausstattung von Ländern und Kommunen.
Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.