Inland

"Zuversichtlich für die Zukunft, nicht glücklich mit der Gegenwart"

von Jérôme Cholet · 30. April 2009
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"Die Veränderungen, die wir umgesetzt haben, sind die Veränderungen, die wir versprochen haben," zog Obama auf einer Konferenz in Missouri lakonisch Bilanz, "ich freue mich über die Fortschritte, aber ich bin noch nicht zufrieden."

Als erste Amtshandlung verkündete der neue Präsident im Januar die Schließung des Gefangenenlagers von Guantanamo Bay innerhalb eines Jahres. Zudem wurden die umstrittenen Verhörmethoden der Geheimdienste, darunter das folterähnliche Waterboarding, mit sofortiger Wirkung abgeschafft. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International lobt in einem gerade veröffentlichten Bericht den Tatendrang. "Wir begrüßen die Schließung Guantanamo Bays, das Ende der Folter und den Bruch mit der Geheimniskrämerei," so ai-Generalsekretärin Irene Khan, "nun aber wollen wir sehen, dass es sich tatsächlich um eine Kehrtwende handelt, dass Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit wieder zurück sind."

"Change can happen"

Obama hatte im Wahlkampf viel versprochen, nicht zuletzt den viel zitierten "Change," den Wandel, den Wechsel. Als er sein Amt antrat waren die Erwartungen hoch, und die geerbten Probleme von Vorgänger George W. Bush zahlreich. Die Vereinigten Staaten sind nicht nur verschuldet wie nie zuvor in der Geschichte, Amerika befindet sich auch in einer gewaltigen Depression der Wirtschaft. Das Image der Supermacht hatte tiefe Kratzer bekommen, durch die Folterskandale in Abu Ghuraib aber auch die Blockadehaltung beim Klimaschutz. In vielen Fragen der internationalen Politik standen die USA isoliert da. "George W. Bush zu übertreffen war nicht schwer," schließt Iwan Morgan, Politikprofessor an der Universität London.

Rückzug aus dem Irak

Doch Obama ließ Taten sprechen. Den ersten Wandel gab es im Umgang mit den beiden Kriegen im Irak und in Afghanistan. Bereits am 29. Tag seiner Amtszeit stellte Obama einen umfassenden Rückzugsplan aus dem Irak vor. Die Mehrzahl der 142.000 amerikanischen Soldaten soll das Land am Tigris bis Mai 2010 verlassen, am Hindukusch soll das Engagement unterdessen verstärkt werden. Das Widererstarken der Taliban zwischen Afghanistan und Pakistan gehört zu den größten Sorgen des Präsidenten. Die 38.000 stationierten Soldaten sollen noch einmal um die Hälfte verstärkt, zusätzlich 4.000 Kräfte zur Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte entsendet werden. Gleichzeitig verkündete Obama ein umfassendes Investitions- und Infrastrukturprogramm für das krisengeschüttelte Land. "Beim Abzug aus dem Irak könnte es noch zu Zeitverschiebungen kommen," sagt Iwan Morgan, "in Afghanistan bedarf es jedoch einer größeren Kraftanstrengung." Doch Obama scheint bereit und hat die Weichen neu gestellt.

Europapolitik

In Europa punktete der 44. Präsident der Vereinigten Staaten beim NATO-Gipfel und beim G-20-Treffen. Dabei räumte der Präsident deutlich mit der Arroganz seines Vorgängers auf. "Uns ist wichtig, dass wir Freunde haben und niemand den Eindruck gewinnt, wir würden unsere Entscheidungen anderen aufzwingen," so Obama. Gerade als er jedoch seine Vision einer nuklearwaffenfreien Welt vortrug, testete Nordkorea am anderen Ende der Welt Atomraketen. Doch statt zu resignieren, verkündete der 48-Jährige noch engagierter einen Gipfel über Nuklearsicherheit einzuberufen zu wollen und eine Reduzierung der eigenen Atomwaffenarsenale anzustreben. Auch haben sich die Beziehungen mit Russland sichtbar verbessert, beide Seiten wollen an einem neuen Sperrvertrag arbeiten.

Ära des Dialogs im Nahen Osten

"Das Geheimnis Obamas," so der Politikwissenschaftler Fareed Zakaria, "ist, dass er die Krise genutzt hat, um einen Kurswechsel in der Politik zu vollziehen und den Handlungsrahmen der Supermacht Amerika zu öffnen." So hat sich Obama direkt an den Iran gewandt und eine neue Ära des Dialogs angekündigt. Trotz der wechselhaften Geschichte wäre Obama sogar bereit, den iranischen Präsidenten Ahmadineschad persönlich zu treffen. Sollten die Nuklearambitionen sich dann nicht klären lassen, übernimmt Obamas Außenministerin Hilary Clinton die Verhängung von Sanktionen - im Notfall und nach internationalen Konsultationen. Alleingänge der USA sollen der Vergangenheit angehören.

Bereits in der Antrittsrede sprach Obama die muslimische Welt an und betonte in einer Videobotschaft ein zweites Mal, die Hand weit ausstrecken zu wollen. "Meine Aufgabe ist es, der muslimischen Welt zu sagen, dass die Amerikaner nicht ihre Feinde sind",so der Präsident. Auf dem Gipfel der amerikanischen Staaten schüttelte er dann erstmals auch den Präsidenten Kubas und Venezuelas die Hände. "Wir können einen ganz anderen Umgangston Obamas verzeichnen. Allerdings bleibt abzuwarten, ob dieser auch sichtbare Ergebnisse bringt," so Politikprofessor Iwan Morgan.

In Israel kam die amerikanische Regierung hingegen bislang nicht voran. Weder mit dem Hardliner Benjamin Netanjahu noch den zerstrittenen Palästinenserfraktionen gibt es eine Annäherung. Entgegen der Ankündigung Obamas, den Nahen Osten zur obersten Priorität zu machen, ist außer der Entsendung des Sonderbeauftragten George Mitchell wenig geschehen. "Die Vereinigten Staaten von Amerika erscheinen hier noch immer nicht als glaubwürdiger Vermittler," so USA-Experte Morgan. Da bleibt viel zu tun.

Regeln für Finanzmärkte, mehr Gesundheit für Kinder

Zu Obama größten Herausforderungen zählt allerdings derzeit die Rezession, die in den Vereinigten Staaten von Amerika ihren Anfang genommen hat und nun die gesamte Weltwirtschaft erfasst. Dazu hat das Weiße Haus zwar ein riesiges Konjunkturpaket im Umfang von 787 Milliarden Dollar geschnürt, dessen Erfolg bleibt jedoch noch abzuwarten. Obama hat neue Regeln für die Finanzmärkte beschlossen und sucht eine Lösung der Misere der großen Automobilkonzerne.

Zwar ist die Krise noch lange nicht überstanden, die Schuld an ihr wird jedoch nicht dem neuen Präsidenten gegeben und im Vergleich zu den 15 Prozent der Amerikaner, die die USA zum Ende der Amtszeit George W. Bushs auf dem richtigen Weg sahen, sind es jetzt wieder 45 Prozent. Um diesen Lorbeeren gerecht zu werden, will Obama vor allem in Bildung, Gesundheitsversorgung und Infrastruktur investieren. Als erstes setzte er daher durch, dass die öffentlich finanzierte Gesundheitsversorgung von Kindern ausgebaut wird. "In einer würdevollen Gesellschaft gibt es bestimmte Verpflichtungen, um die nicht geschachert werden darf," so Obama ganz kompromißlos, "die Gesundheitsversorgung unserer Kinder gehört dazu."

Laut neuesten Berichten muss er sich jedoch erst einmal dem Rückgang der Wirtschaft um mehr als 5 Prozent im vergangenen Quartal stellen. Die derzeitige Arbeitslosenrate von 8,1 Prozent könnte sich in den kommenden Monaten verdoppeln. Bei den Banken, den Automobilherstellern und den Immobilienfirmen steht er vor einem gewaltigen Scherbenhaufen. "Die Revitalisierung des Finanzsektor steht noch aus," so Iwan Morgan von der Universität London, "und die Verschuldung wird drastisch zunehmen." Der ruhige, zuhörende und doch entschlossene Stil Obamas lässt ihn weiterhin in der Bevölkerung beliebt sein. Obama nimmt sich auch in der Öffentlichkeit die Zeit nachzudenken und versucht, so viele Kräfte wie möglich in die Regierungsarbeit einzubinden. Trotz der schweren Lage geben 59 Prozent der Bevölkerung an, hinter ihm und seiner Arbeit zu stehen.

Ohne Arroganz und mit viel Tatendrang

Im Senat hat eine Abgeordnete aus Pennsylvania, Arlen Specter, gerade ihre Parteizugehörigkeit von den Republikanern zu den Demokraten gewechselt und beschert Obamas Partei damit den 60. Sitz. Dem Präsidenten wird es künftig also noch leichter fallen, seine Gesetzesentwürfe durch die beiden legislativen Kammern zu bringen. Die Gesundheitsreform und eine Maßnahme zur Reduktion der Kohlendioxid-Emmissionen stehen demnächst an. Mehr als 91 Milliarden Dollar sollen in Zukunft in eine saubere Energiegewinnung investiert werden.

Obama selbst bemerkte in seiner Rede zum 100-Tage-Jubiläum: "Ich bin zuversichtlich für die Zukunft, aber nicht glücklich mit der Gegenwart." Die nächsten neunhundert Tage seiner Amtszeit werden herausfordernd bleiben, innen- als auch außenpolitisch. Jedoch steht die internationale Gemeinschaft ebenso wie die amerikanische Bevölkerung hinter dem neuen Präsidenten. Ohne Alleingänge, ohne Arroganz und mit viel Tatendrang ist Zuversicht angebracht.

Autor*in
Jérôme Cholet

arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.

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