Inland

Zur besseren Marktwirtschaft ins Baskenland

von Jürgen Runau · 5. März 2007
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Irgendwann im Frühjahr schaltete ich den Sender ARTE ein und sah gerade noch das Ende einer Reportage über einen multinationalen Konzern mit Sitz im Baskenland. An dem wenigen was ich sah, faszinierte mich zweierlei: Dieser Konzern mit weltweit 80.000 Mitarbeitern ist eine Genossenschaft. Und: In diesem Unternehmen wurde noch nie jemand entlassen. Ich beschloss diese Firma, Mondragón Corpareción Cooperativa, zu besuchen.

Das System Mondragon

Als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft 60plus vereinbarte ich mit Mikel Lezamiz einen Besuchstermin. Mondragón ist eine kleine Stadt auf halbem Wege zwischen Bilbao und San Sebastian, in einem kleinen Tal gelegen, ca. 40 km von der Küste entfernt. Das Büro der Coopertavia liegt an einem Hang, mit unverstelltem Blick über die Stadt. Mein Gesprächspartner Mikel hat einen einmaligen Job: Laut Visitenkarte ist er "verantwortlich für die Verbreitung der genossenschaftlichen Idee". Er veranstaltet Seminare für Interessierte aus aller Welt. Für den Nachmittag des Tages, an dem wir uns trafen, erwartete er eine Gruppe Israelis, am Tag darauf eine Gruppe aus Philadelphia. Zwei Wochen zuvor war er auf Einladung der Regierung nach China gereist, da das "System Mondragion" für die immer noch zahlreichen Staatsbetriebe Chinas interessant sein könnte. Alle Mitarbeiter der Cooparativa sind "sócios". "Sócio" bedeutet im Spanischen zweierlei: Genosse und Teilhaber. Die "Sócios" der Coopertiva Mondragón sind beides.

Genosse und Teilhaber

Nach einer Probezeit von sechs Monaten muss ein "sócio" eine Einlage von 12.000 EURO leisten. Zur Zahlung dieser Summe hat er drei Jahre Zeit. 20 Prozent fließen in die Kasse der Cooperativa. 9600 EURO bilden den Kapitalstock des "sócio", der z.Zt. mit 7,5 Prozent p.a. verzinst wird. Dieser Kapitalstock wächst jährlich um Gewinnanteile oder verringert sich, wenn Verluste gemacht werden. Wird ein "sócio" arbeitsunfähig, erhält er 100 Prozent seiner Bezüge weiter bis zum Rentenalter. Braucht er Pflege, erhält er 150 Prozent zusätzlich zu etwaigen staatlichen Leistungen.



Viele Produkte, eine Bank, eine Versicherung und ein Supermarkt


Die Cooperativa besteht aus zehn Divisionen, die eine Vielzahl von Produkten herstellen: Omnibusse und Werkzeugmaschinen, Autoteile und Haushaltsgeräte, Stahlkonstruktionen (z.B. für das Guggenheim Museum in Bilbao) und medizinische Geräte. Außerdem gehören zur Genossenschaft eine Bank, eine Versicherung und eine Supermarkt Kette.

Die Struktur

Mondragón Cooperativa wurde 1956 von José Maria Arizmendiarrieta gegründet. 1983 wurden 18.744 Mitarbeiter beschäftigt, 2003 68.260, heute ca. 80.000. Trotz Produktionsstätten in aller Welt, arbeiten 49 Prozent im Baskenland, 39 Prozent im übrigen Spanien und nur 12 Prozent im Ausland. Die "sócios" jeder Division wählen aus ihrer Mitte einen zwölfköpfigen Aufsichtsret, der die gleichen Rechte und Pflichten hat, wie der Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft. Er ernennt und entlässt Vorstände und muss alle wichtigen Entscheidungen genehmigen. Ein entlassener Vorstand kehrt an einen anderen Platz in der Cooperative zurück.

"Sócio" in Rente

Erreicht ein "sócio" das Rentenalter, kann er sein Kapital aus der Cooperativa entnehmen oder den Grundstock von 9600 EURO im Unternehmen lassen, um sein Stimmrecht zu behalten. Allerdings haben inaktive "sócios" maximal 20 Prozent der Stimmen. Zusätzlich zur staatlichen Rente erhält er eine Rente der Cooparativa. (Auch "sócios" müssen in Spanien in die Rentenversicherung einzahlen, können aber die Höhe der Prämie wählen.)

Genossenschaft fördert Bildungseinrichtung

Der spanische Staat begünstigt Genossenschaften steuerlich. Im Gegenzug macht er jedoch Auflagen zur Gewinnverteilung: 45 Prozent des Gewinns müssen in einen Rücklagenfond fließen, falls doch einmal "sócios" arbeitslos werden. Mit 10 Prozent muss eine Bildungseinrichtung gefördert werden. Das kann eine Schule für Kindergärtnerinnen oder Krankenschwestern sein, aber auch eine zur Förderung der baskischen Spreche. 45 Prozent können als Gewinn an die "sósios" ausgeschüttet werden. Die Statuten der Genossenschaft sehen jedoch vor, dass dies nur in Form einer Gutschrift auf den Kapitalstock erfolgt.

Die Genossenschaft und die Globalisierung

Ich habe Mikel gefragt: Sind die Probleme der Globalisierung in Spanien die gleichen wie in Deutschland? Auch bei euch gibt es sicherlich Produkte, die ihr nicht mehr konkurrenzfähig im Baskenland herstellen könnt? Wie geht ihr damit um? Mikel hat mir an zwei Beispielen erklärt, wie die Cooperative diese Probleme löst. In einem Fall war die Produktion von Schnellkochtöpfen nicht mehr rentabel. Die Fertigung musste nach China verlegt werden. Mit der Fertigung waren 90 "sócios" beschäftigt. Was sollten sie tun?



Hochwertige Schnellkochtöpfe


Sie beschlossen, weiterhin Schnellkochtöpfe herzustellen, allerdings in einer höherwertigen Ausführung: Mit einer Schaltuhr im Deckel und einem Computerchip, über den per Handy der Herd angestellt werden kann. Diese Töpfe verkaufen sich so gut, dass inzwischen 230 "sócios" in dieser Abteilung arbeiten. Beispiel zwei: Die Fertigung von Haushaltskühlschränken war ebenfalls unrentabel geworden und musste nach Polen ausgelagert werden. Nur die Fertigung großer Einheiten fÜr die Gastranomie blieb im Baskenland. Von 900 "sócios" wurden nur noch 500 für diese Fertigung gebraucht. Die restlichen 400 wurden auf andere Divisionen der Cooparative verteilt.

Die Universität

1997 hat Mondragón CC eine Universität gegründet, in der zur Zeit 4000 Studenten unterrichtet werden. Sie zahlen Studiengebühren und müssen täglich vier Stunden in einer Fabrik der Cooperative arbeiten. Dafür erhalten 600 EURO im Monat.

Seine "Mission" definiert die Corporación Cooperativa Mondragón so: "Güter zu produzieren und zu verkaufen sowie Dienstleistungen anzubieten unter Wahrung demokratischer Methoden in seinen Organisationsstrukturen, und die Erlöse zum Nutzen seiner Genossen und der Gesellschaft zu verwenden." Und der Nutzen für die "sócios" ist in erster Linie Arbeit und Einkommen und erst in zweiter Linie Profit.

Genossenschaftliches Technologiezentrum

Wir standen am Fenster des ersten Stocks und blickten über die Stadt. Auf einer großen Baustelle drehten sich Baukräne. "Dort entsteht unser neues Technologiazentrum," sagte Mikel. 10 Prozent unserer Erlöse fließen in Forschung und Entwicklung. Und da hinten bauen wir eine neue Fabrik. 30 "sócios" hatten eine Produktidee, die sie dort umsetzen werden."

Genossenschaft kontra Ackermann

Zur Marktwirtschaft gibt es keine Alternative. Aber es gibt unterschiedliche Formen der Organisation. Nach dem Besuch bei Mondragón CC bin ich überzeugt, dass deren System das intelligentere und damit bessere ist. Es ist nicht nur sozial und demokratisch sondern auch überaus konkurrenzfähig, wie das Wachstum von Mondragón CC zeigt. Denn die Motivation der "sócios", dessen bin ich sicher, wird von niemandem übertroffen.

Im Übrigen: Jésus Catania, der Generaldirektor von Mondragón Corporación Coopertive verdient das Naunfache dessen, was die "sócios" im Durchschnitt verdienen. Herr Ackermann von der Deutschen Bank verdient ca. das 200 fache dessen, was ein Kassierer der Bank erhält. Aber wessen Leistung ist verdienstvoller: Die des Jésus Catanie, dessen Unternehmen seit 2003 12.000 weiteren Menschen Arbeit gegeben hat oder die des Herrn Ackermann, der 6000 Mitarbeiter entlassen hat, um den Gewinn für die Aktionäre zu erhöhen?

Weitere Infos zum System Mondragon

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