Inland

In Zukunft zu Fuß

von Yvonne Holl · 7. Mai 2012

Car-Sharing, Bike-Sharing und ganz viel Laufen: So bewegen wir uns 2050 durch die Städte, glaubt Verkehrsforscher Dr. Wolfgang Schade. Er ist Leiter des Geschäftsfeldes Verkehrssysteme am Fraunhofer ISI und Projektleiter von VIVER. Wir sprachen mit ihm über die Zukunft der Mobilität.


Herr Schade, brauchen Städter im Jahr 2050 noch ein eigenes Auto?

Nein. In unserer Vision VIVER schätzen wir, dass bundesweit auf 1000 Personen nur noch 250 Autos kommen werden. In den Städten könnte dann der Anteil privater PKW nahezu bei Null liegen.
Wie kommen die Menschen dann zur Arbeit oder in die Schule? Mit einem Mobilitätsmix aus Car- und Bike-Sharing, ÖPNV und zu Fuß gehen. 

Wir werden 2050 mehr laufen?

Es wird jedenfalls viel bequemer sein, weil die Städte grüner sind, fußgänger- und fahrradfreundlicher. Es gibt weniger motorisierten Verkehr, so dass es angenehmer wird, sich zu bewegen. 

Was ist mit weiteren Stecken? 

Der ÖPNV wird mit S- und U-Bahn das Rückgrat sein. Außerdem wird es sicher flexible Car-Sharing-Modelle geben, stationsgebunden oder freefloating. Letzteres heißt, dass das Fahrzeug beliebig abgestellt werden kann. 

Wie kann so ein Mix funktionieren?  

Wir gehen davon aus, dass es im Jahr 2050 Mobilitätsdienstleister gibt, die eine ganze Wegekette mit verschiedenen Verkehrsmitteln organisieren. Per Smartphone buche ich und erfahre, wo ich umsteige. Und am Monatsende bekomme ich von meinem Vertragspartner eine Gesamtrechnung für meine Mobilität.

Klingt nach einem Konzept für junge Städter. Wie kommen die Alten voran? 

Natürlich fangen die Jungen an, aber wir gehen davon aus, dass sich die Systeme durchsetzen werden. In 2030 sind die heute 35-jährigen Nutzer dann 55, und wir gehen davon aus, dass sie ihr Mobilitätsverhalten beibehalten.

Was ist mit dem Güterverkehr? Wie gelangen Brötchen zum Bäcker und die Waren vom Hafen in die Fabriken?

Das ist etwas schwieriger. Aber wir gehen in VIVER davon aus, dass die Organisation insgesamt besser wird, so dass künftig auch aus Ressourcensicht immer das optimale Verkehrsmittel genutzt wird. Wegen steigender Ölpreise werden auch die Unternehmen daran ein Interesse haben. Im Feinverteilverkehr in den Städten wird der elektrische Antrieb für Lieferwagen eine große Rolle spielen. Der erzeugt keine lokalen Emissionen und verursacht keinen Lärm, auch das verbessert die Lebensqualität in der Stadt. 

Bekommen unsere Städte ein neues Gesicht? 

Wenn die Zahl der privaten PKW zurückgeht, könnten 70 bis 80 Prozent der Parkflächen frei werden. Da gäbe es Platz für Fahrrad- und Fußwege, aber auch für mehr städtisches Grün, Spielplätze und zentral gelegenen Wohnraum. 

Ist das auch eine Perspektive für Otto-Normal-Verbraucher oder nur für Gutverdiener? 

Es gibt unsere  Empfehlung an die Politik, auf eine Durchmischung zu achten und etwa den sozialen Wohnungsbau aufzustocken, damit vernünftige Wohnungen mit normalen Mieten auch in den Städten möglich sind. 

Ruhige Städte mit sauberer Luft, viel Grün, viel Lebensraum: Ist VIVER reine Gedankenspielerei?

Wir sehen das durchaus als realisierbar. Zwar haben wir ein paar Rahmenbedingungen vorausgesetzt, etwa, dass die Schere zwischen Armen und Reichen nicht weiter auseinander geht, dass die Altersarmut nicht überhand nimmt. Dann wäre Mobilität für viele gar nicht bezahlbar. Aber wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich nicht drastisch verändern, sehen wir das Potenzial für nachhaltige Mobilität. Wir sehen es gerade im Sharing-Bereich, da ist schon jetzt viel Musik drin. Autokonzerne, die Bahn, viele setzen jetzt darauf. 

Am Ende wird es auch ums Geld gehen. Was würde es kosten, Ihre Vision umzusetzen? 

Das ist eine schwierige Frage, die wir noch nicht beantworten konnten. Es ist aber klar, dass auch der Umbau von Parkflächen in Radwege Geld kosten wird. In einem anderen Projekt hatten wir für den nachhaltigen Ausbau von Fuß- und Radwegen in ganz Deutschland bis zum Jahr 2020 rund  zehn Milliarden Euro veranschlagt.

E-Mobilität, Gas- und Hybridmotoren führen ein Nischendasein. Welchen Antrieb sehen Sie im Jahr 2050 flächendeckend? 

Bei alternativen Antrieben stehen wir sicher erst am Anfang. Die größeren Anbieter kommen gerade mit den ersten Modellen auf den Markt. Mit steigendem Angebot wird es auch deutlich mehr E-Autos auf den Straßen geben. Der Ölpreis wird künftig steigen, das wird alternativen Antrieben Vorschub leisten. 

Funktioniert nachhaltiger Verkehr auch auf dem Land? Viele Orte sind von verlässlichem öffentlichem Verkehr quasi abgeschnitten. 

Das ist ein Knackpunkt. Schon in kleineren Städten ist ein Mobilitätsmix schwerer umsetzbar. Und im ländlichen Raum sehen wir die Veränderung fast gar nicht. Dort wird das eigene Auto noch lange Hauptverkehrsmittel sein.

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare