Inland

„Zivilisationsbruch“ in Deutschland

von Romy Hoffmann · 14. März 2012

Die Mordserie der Zwickauer Neonazi-Zelle ist einmalig in Europa. Rechtsextremismus darf in Deutschland keinen Platz haben – wie das erreicht werden soll, darüber diskutierten Vertreter aus Politik, Medien und Verbänden in Berlin.

Ob Fremdenfeindlichkeit, Ausländerhass oder Islamophobie – all diese Begriffe beschreiben dasselbe: Rassismus. Suat Bakir bezeichnet den Rassismus in Deutschland als „salonfähig“. Der Geschäftsführer der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer ist Teilnehmer an der Diskussion „Rassismus in Deutschland – kein Thema?“, zu der das Netzwerk gegen Rassismus, der Verband Gesicht Zeigen! und der Deutsche Gewerkschaftsbund am 12. März luden.

„Rassismus ist ganz tief verankert“

Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ sei das beste Beispiel dafür, wie sehr die Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft verankert sei, meint Prof. Barbara John, ehemalige Ausländerbeauftragte der Stadt Berlin und jetzige Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer der Zwickauer Neonazis. Der Tagesspiegel-Journalist Frank Jansen spricht sogar von einem Alltagsrassismus. Polizisten, die rechte Gewalt verharmlosen und Opfer mit ausländischen Wurzeln diskriminieren seien heute Gang und Gebe in Deutschland, sagt der Journalist. „Ich könnte jeden Tag eine Geschichte darüber schreiben.“

Bis zum Bekanntwerden der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 hätten Politik und Medien rechte Gewalt in Deutschland nicht nur unterschätzt, sie seien dem Thema auch völlig desinteressiert begegnet, stellt Jansen fest. Der Parlamentarier und Leiter des Untersuchungsausschusses zur Mordserie des sog. NSU, Sebastian Edathy (SPD), kann Jansens Vorwurf nur bestätigen. „Wir haben das Problem des Rassismus einfach nicht wahrgenommen.“

Bürger in die Pflicht nehmen

John bezeichnet die Morde des NSU als „Zivilisationsbruch“. Die terroristischen Anschläge stellten einen Angriff auf unser Land dar und deswegen beträfen sie nicht nur Migranten, sondern jeden einzelnen Bürger, betont sie. Wollen wir rassistisches Gedankengut in unserer Gesellschaft beseitigen, dann müssten wir bei uns selbst damit beginnen, sagt John. „Es geht schon lange nicht mehr um die Glatzköpfe.“ Bakir betont, dass sich Rassismus heutzutage vor allem in der Ablehnung fremder Religionen und Kulturen äußere. Diese Abneigung trugen viele Bürger in sich.

Wir sollten endlich akzeptieren, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, meint John. Das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft müssen wir als selbstverständlich hinnehmen. Deswegen fordert der SPD-Politiker Edathy die Kommunen dazu auf, verstärkt in Jugendarbeit und Freizeitangebote zu investieren. „Nazis werden ja nicht als Rechtsradikale geboren.“

Politik muss gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen

Für Edathy steht fest, dass wir Debatten über die demokratische Kultur bräuchten, denn „es reicht nicht aus, dass man einmal im Jahr den Opfern der Neonazis gedenkt.“ Der Wille und das Umdenken allein werden nicht genügen, um Rassismus hierzulande zu beseitigen. Deswegen stecken alle Diskussionsteilnehmer große Hoffnungen in den Untersuchungsausschuss zur Mordserie des NSU, der sich vor allen Dingen mit der Aufarbeitung und der Aufklärung der Morde, sowie mit konkreten Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus beschäftigt, wie beispielsweise stärkerer Präventionsarbeit.

„Wir befinden uns in der Illusion, dass es nach der schrecklichen Nazidiktatur keinen Rassismus in Deutschland mehr gibt“, beklagt John. Der Staat müsse sich endlich von Beamten befreien, die rechtsradikales Gedankengut in sich trugen, denn davon gäbe es hierzulande zu viele. Außerdem fordert sie eine Anlaufstelle für Migranten, die von Beamten diskriminiert würden und ein Schulfach, das sich mit demokratischen Grundwerten und dem Erlernen von Toleranz beschäftigt. So schwerfällig die Forderungen auch erscheinen mögen, eine Demokratie sei dynamisch und dürfe deswegen niemals als selbstverständlich hingenommen werden.

Autor*in
Romy Hoffmann

Romy Hoffmann ist Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg. Im Frühjahr 2012 absolvierte sie ein Praktikum in der Redaktion des vorwärts.

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