Inland

Wundermittel Kombilohn?

von Die Redaktion · 25. Januar 2006
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Welche Chancen haben gering Qualifizierte heute noch, Arbeit zu finden?

Die Beschäftigungschancen von Menschen mit geringer beruflicher Qualifikation sind in Deutschland noch ungünstiger als in anderen hoch entwickelten Industrieländern wie Holland, Österreich, Großbritannien, der Schweiz oder Japan. Wir haben wesentlich weniger Beschäftigte in den einfachen Dienstleistungen, in denen Menschen ohne höhere schulische und berufliche Qualifikation noch Arbeit finden können.



Woran liegt das?


Wir belasten die einfachen Arbeitsplätze, auf denen weniger als der Durchschnittslohn verdient wird, wesentlich mehr mit Steuern und insbesondere Sozialabgaben, als andere Länder es tun. Dadurch sind die einfachen Dienstleistungen zu teuer.

Würden Kombilöhne, also Lohnzuschüsse, wie sie zur Zeit vor allem aus der CDU gefordert werden, den gering Qualifizierten helfen, wieder Arbeit zu finden?

Das wäre ein Korrigieren an Symptomen. Damit verbessert man vielleicht die Chancen von Langzeitarbeitslosen gegenüber anderen Bewerbern, aber der Mangel an einfachen Arbeitsplätzen wird nicht beseitigt.

Gibt es eine bessere Lösung?

Wirksamer wäre es, die Abgabenbelastung für die einfachen Tätigkeiten zu senken. Bei der Lohn- und Einkommenssteuer gibt es einen Grundfreibetrag. Steuern werden erst oberhalb dieses Grundfreibetrags erhoben, so dass die niedrigen Einkommen nicht oder nur sehr wenig belastet werden. Bei den Sozialabgaben haben wir dagegen keinerlei Grundfreibetrag, so dass schon - wenn man nicht über die 400-Euro-Jobs, sondern über reguläre Beschäftigung reden will - für den ersten verdienten Euro die volle Abgabenlast erhoben wird.

Auch der DGB favorisiert inzwischen Freibeträge auf die Sozialversicherung statt Kombilöhne. Woher dieser Wandel?

Das ist das Ergebnis eines längeren Lernprozesses. Im Bündnis für Arbeit ging es 1999/2000 darum, wie man das Aufkommen aus der Ökosteuer einsetzen soll, um die Lohnnebenkosten zu entlasten. Damals gab es den Vorschlag, der im Bündnis für Arbeit gemeinsam von allen Sachverständigen vertreten wurde, dass man diese Mittel - ich glaube, das waren damals 15 Milliarden Mark - ausschließlich verwenden sollte, um eine Entlastung der Niedrigeinkommen zu erreichen. Das wurde von den Gewerkschaften blockiert. Die hatten darauf bestanden, alle Rentenbeiträge um einen Prozentpunkt zu senken.

Also haben die Gewerkschaften ihre Position inzwischen modifiziert?

Der DGB hat gemerkt, dass diese Art von Entlastung beschäftigungspolitisch nichts gebracht hat. Er hat sich deswegen vor zwei Jahren zum ersten Mal deutlich für die Einführung von Freibeträgen auf die Sozialversicherungsbeiträge ausgesprochen. Das ist die richtige Lösung, aber auch das ist teuer.

Wie teuer?

Das hängt ganz von der Gegenfinanzierung ab, über die politisch entschieden werden muss. Dabei geht es nicht um Abgabenerhöhungen, sondern um Umfinanzierung. Man muss eine Form von außerordentlich beschäftigungsschädlichen Abgaben für die unteren Einkommensgruppen durch eine weniger beschäftigungsschädliche Form der Finanzierung ersetzen. Das kann aufkommensneutral sein, wenn man Steuern und Sozialabgaben gemeinsam anschaut.

Das heißt, Steuern oder Sozialabgaben derjenigen zu erhöhen, die mehr verdienen?

In erster Linie müssten wir die Steuer erhöhen, die am wenigsten beschäftigungsschädlich ist. Das ist nicht die Mehrwertsteuer. Für die einfachen Dienstleistungen ist sie genauso beschäftigungsschädlich wie Sozialabgaben, weil auch sie die einfachen Dienstleistungen verteuert. Man kann also nur bei der Einkommenssteuer ansetzen, allerdings ohne die Unternehmenssteuern zu erhöhen, die bei uns ohnehin zu hoch sind. Da hat die Regierung die Möglichkeit, eine Ergänzungsabgabe zur Einkommenssteuer zu beschließen, also einen Zuschlag zur Einkommenssteuerschuld. Den Bundesrat braucht sie dafür nicht. Da die Einkommenssteuer mit dem Verdienst steigt, würde ein solcher Zuschlag in erster Linie mittlere und höhere Einkommen treffen. Das wäre weniger beschäftigungsschädlich, weil diese Einkommensgruppen ihren Konsum weniger stark einschränken müssten. Sie haben im Gegensatz zu Geringverdienern eine hohe Sparquote.



1999 haben Sie außerdem einen Mindestlohn vorgeschlagen. Gilt das noch?


Das hatte mit der Diskussion über Kombilöhne zu tun. Ohne Mindestlöhne besteht die Gefahr,dass Lohnzuschüsse die Arbeitgeber dazu verführen, das Lohnniveau zu senken. Ein Freibetrag auf die Sozialbeiträge dagegen würde die bestehende Lohnstruktur nicht infrage stellen.

Welche Wirtschaftsbereiche würden von den Freibeträgen auf die Sozialabgaben profitieren?

Für die Industrie in Deutschland hat das praktisch keine Bedeutung. Dies ist einer der Gründe, warum sich die IG Metall nie für solche Vorschläge interessiert hat. Wenn man ins Ausland schaut, gibt es im Einzelhandel, bei den Gaststätten, Hotels, Haushalten, im Freizeitbereich, bei der Reparatur von Gebäuden, bei Wald-, Garten- und Instandsetzungsarbeiten sowie - ganz wichtig - bei der Pflege überall mehr Beschäftigung als bei uns. Vieles von dem, was heute über Schwarzarbeit läuft, könnte reguläre dauerhafte Beschäftigung werden, wenn die Kostenrelation stimmt.

Der Abbau der Arbeitsplätze scheint zum Stillstand zu kommen. Die Wirtschaft wächst wieder. Zeigen die Reformen von Rot-Grün Wirkung?

Die Hartz-Reformen setzen - genauso der Kombilohn - bei der Motivation der Arbeitslosen an. Aber wenn die Arbeitsplätze fehlen, nützen auch Sanktionen oder Subventionen à la Kombilohn nichts. Man muss bei der Nachfrage nach Arbeit ansetzen. Man muss Mechanismen in Gang setzen, mit denen die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze steigt.

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