Inland

Wo Alle Chef sind

von ohne Autor · 8. April 2011
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Mondragon ist eine kleine Stadt im spanischen Baskenland. Schon seit dem Mittelalter wird den Bewohnern der Region ein besonderer Gemeinsinn nachgesagt, ein Hang zur "Brüderlichkeit". Darauf besann sich der katholische Priester José Maria Arizmendiarrieta, als Mondragon in den 50er Jahren unter Massenarbeitslosgkeit litt. Der Pater glaubte daran, dass die Leute sich selbst helfen könnten und gründete zunächst eine demokratisch organisierte Fachhochschule. Die ersten Absolventen ermunterte er, einen genossenschaftlichen Betrieb für Gasherde und Heizöfen zu gründen.

Größte Genossenschaft der Welt

Heute ist Fagor Industrials eine von mehr als 100 Mondragon-Firmen und stellt weit mehr her als Öfen. Die Kühlschränke der Marke werden auch in Deutschland verkauft. Andere Fabriken produzieren Werkzeugmaschinen, Rolltreppen, Eisenbahnwaggons, Teile für die Autobranche, den Schiffbau, die Landwirtschaft und vieles mehr. Eroski, die drittgrößte Lebensmittelkette Spaniens, gehört ebenfalls zum Mondragon-Imperium. Die Genossenschaft ist inzwischen die größte welteit und gleichzeitig das siebtgrößte Unternehmen Spaniens.

2009 lag der Umsatz aller Betriebe der Kooperative bei 4,7 Milliarden US-Dollar, hinzu kam ein Anlagevermögen von rund 10 Milliarden US-Dollar. Das Engagement des katholischen Paters hat sich zu einem wirtschaftlichen Knüller entwickelt. Und zu einem sozialen: Von den 103 000 Beschäftigten sind 84 000 gleichzeitig Genossenschafter. Sie genießen Mitsprache bei Firmenentscheidungen und sind am Gewinn beteiligt.

Eine Firma in Mitarbeiterhand vermeidet Entlassungen

Etwa 12 000 Euro beträgt die Einlage, die ein so genannter socio nach sechsmonatiger Probezeit leisten muss. Ein Teil davon geht als Investitionskapital in die Firma, ein kleinerer Teil wird für soziale Projekte verwendet. Der Rest bildet den Kapitalstock des socio. Und dieser verringert sich oder wirft Gewinne ab, je nach Wirtschaftslage. So profitieren auch Monteure und Kassierer von Firmengewinnen. Wer in Rente geht, kann sein Kapital entnehmen oder den Grund­stock im Unternehmen lassen und so ein 20-prozentiges Stimmrecht behalten.

"Gehaltsspreizungen" in den Dimensionen von Kapitalgesellschaften sind bei Mondragon tabu. Während andernorts Manager das 200-fache ihrer Angestellten verdienen und Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann in manchen Jahren schon auf das 400-fache kam, erhalten die Spitzenkräfte von Mondragon maximal acht Mal so viel. Frauen verdienen in gleicher Position exakt das gleiche wie ihre männlichen Kollegen. Wer arbeitsunfähig wird, erhält die vollen Bezüge bis zum Rentenalter, benötigt er Pflege, gibt es sogar 150 Prozent.

Es wundert nicht, dass eine Firma in Mitarbeiterhand Entlassungen vermeiden will. Tatsächlich wurden zwar schon Verträge von Mitarbeitern nicht verlängert. Socios wurden aber noch nie entlassen, sondern im Zweifel in eine andere Firma versetzt.

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