Inland

Wissenschaftlicher Nachwuchs braucht planbare Karrieren

Das Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft werde von Arbeitgebern zunehmend für unsachgemäß kurze Vertragslaufzeiten missbraucht, kritisiert die SPD-Abgeordnete Simone Raatz. Inzwischen arbeiten 90 Prozent der hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis.
von Vera Rosigkeit · 2. Dezember 2015
Rund 90 Prozent der hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter arbeiten in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis
Rund 90 Prozent der hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter arbeiten in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis

Warum ist die Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes so dringend notwendig?

Wenn über die Hälfte der Verträge von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Laufzeit von unter einem Jahr haben, dann ist etwas aus dem Lot geraten. Es ist Aufgabe der Politik, solchen Missständen einen Riegel vorzuschieben und Mindeststandards einzuführen, die unserem wissenschaftlichen Nachwuchs planbarere und verlässlichere Karrierewege ermöglichen. Nur mit attraktiven Arbeitsbedingungen werden wir die jungen Wissenschaftler im eigenen Land halten.

Die Befristungsmöglichkeiten, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft) schafft, wurde von den Arbeitgebern zunehmend für unsachgemäß kurze Vertragslaufzeiten missbraucht wurde.

Wen genau betrifft das Gesetz. Können Sie ein Beispiel geben?

Das Gesetz betrifft Menschen, die nach dem Studium eine weitere Qualifikation wie z.B. die Promotion anstreben; aber auch diejenigen, die ihre Promotion abgeschlossen haben und sich entweder in der Postdoc-Phase (Habilitanden, Nachwuchsgruppenleiter, etc.) befinden oder auf zeitlich befristeten Drittmittelstellen arbeiten. Darüber hinaus konnte bisher auch von dem Gesetz Gebrauch gemacht werden, um das sogenannte nichtwissenschaftliche Personal (z.B. Laborassistenten) befristet zu beschäftigen.

90 Prozent der hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiteten 2009 in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis. Über die Hälfte hatten Verträge mit einer Laufzeit von unter einem Jahr. Wie lässt sich die Zunahme dieser unsachgemäßen Kurzbefristungen im Wissenschaftsbereich erklären?

Weil es für viele Arbeitgeber scheinbar attraktiv ist, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit kurzen Vertragslaufzeiten und den damit einhergehenden Unsicherheiten in eine gewisse Abhängigkeit zu bringen, wurde das Gesetz zunehmend für unsachgemäße Kurzbefristungen missbraucht.

Gleichzeitig befinden sich aber unsere Hochschulen unter einem enormen finanziellen Druck: Durch staatliche Förderprogramme wie den Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative sowie die Zunahme anderer Drittmittelprogramme haben wir in Deutschland wesentlich mehr wissenschaftliche Mitarbeiter im Wissenschaftssystem, die über zeitlich befristete Mittel finanziert werden.

Wie kann diese Situation verändert werden?

Ein Baustein dafür ist die anstehende Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Damit werden wir künftig die Befristungspraxis vom Kopf auf die Füße stellen. Um darüber hinaus auch mehr unbefristete Stellen im System zu schaffen, wird sich der Bund ab 2017 mit einer Milliarde Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren an einem Bund-Länder-Programm für den wissenschaftlichen Nachwuchs und akademischen Mittelbau beteiligen.

Damit wollen wir sowohl zusätzliche Professorenstellen schaffen, als auch so genannte Tenure Track-Stellen (Stellen, die mit einer befristeten Bewährungszeit und einer daran anschließenden unbefristeten Stelle versehen werden). Weiterhin müssen wir endlich Anreize zur Personalplanung errichten.

Außerdem sollen die Länder ihre Mittel für den Hochschulbereich stetig erhöhen und der Bund nach Auslaufen des Hochschulpaktes die Grundfinanzierung der Hochschulen deutlich steigern.

Welche Punkte sind Ihnen bei der Novellierung des Gesetzes besonders wichtig?

Mir ist besonders wichtig, dass sich aus dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz künftig klar ergibt, dass es sich um ein Qualifizierungsgesetz handelt. Hier steht die Qualifizierung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die von Arbeitgeberseite verantwortungsvoll ausgestaltet werden muss, im Vordergrund. Dabei werden unsachgemäße Kurzbefristungen von 6 oder 12 Monaten künftig nicht mehr möglich sein.

Ein zweiter wichtiger Punkt, der mit der Novellierung des Gesetzes einhergeht, ist die Herausnahme des nicht wissenschaftlichen Personals aus dem Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Diese Beschäftigten erfüllen überwiegend Daueraufgaben, die auch mit Dauerstellen zu besetzen sind.

Wie hoch sind die Erfolgsaussichten, dass das Gesetz verabschiedet wird und wann tritt es in Kraft?

Da eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbart wurde, ist fest davon auszugehen, dass die Gesetzesänderung noch im Dezember 2015 verabschiedet und zum 1. März 2016 in Kraft treten wird.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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