Inland

Wir sind das Volk

von Franz Alt · 15. Dezember 2010
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In Stuttgart gingen zuletzt 100.000 Bürgerinnen und Bürger und im Wendland 50.000 gegen die Politik der Regierenden auf die Straße. Hauptursachen sind ebenfalls die Ignoranz der Regierenden und der verletzte Stolz und die verletzte Würde der Regierten. Und wie reagiert die Politik jetzt? Ähnlich wie 1989. Mit Beschimpfungen wie "Berufsdemonstranten", "Gewalttäter", "Chaoten" und "verwöhnte Wohlstandbürger".

Mitbestimmung wird mit Füßen getreten

Drastischer könnte eine verunsicherte herrschende Klasse ihre Ignoranz und ihre Angst, aber auch ihre Verachtung der Wählerinnen und Wähler, kaum zum Ausdruck bringen. Aber mit solchen Bürgerbeschimpfungen sprechen die Regierenden immerhin aus, was sie von ihren Wählerinnen und Wählern halten. Sie sehen offenbar nur noch Stimmvieh in ihnen.

Der Artikel 20 des Grundgesetzes verheißt, dass "alle Staatsgewalt vom Volk" ausgeht. Dieses Grundrecht verleiht dem Volk eine grandiose Würde der Mitbestimmung. Und genau diese Würde des Volkes - immerhin die Basis jeder Demokratie - wird zurzeit von den Regierenden in Stuttgart und Berlin mit Füßen getreten. Als ob der Einsatz von tausenden Polizisten ein Ersatz für ein fehlendes atomares End-Lager wäre! Wenn eine Regierung das eigene Volk verachtet, ist sie am Ende. Das spüren die Bürger und die Wähler immer mehr und deshalb wächst ihr Argwohn und zugleich ihr Stolz.

Die Bürger dieser Republik sind über die anstehenden Probleme immer besser informiert. Das erlebt, wer ihnen in Stuttgart oder auch bei Anti-Atom-Demos wirklich zuhört. Aber viele Politiker hören einfach weg anstatt zu. Und darüber sind viele Bürger nur noch verzweifelt und deprimiert. Und sie verlieren jedes Vertrauen in die Politik und ihre Entscheidungsprozesse - wie vor 25 Jahren in der DDR. Eine Endzeitstimmung macht sich breit, wenn das Vertrauen schwindet wie der Schnee im Frühjahr schmilzt.

Selbst die Polizei kritisiert die Regierung

Die wichtigste Währung einer Demokratie ist das Vertrauen des Volkes. Doch dieses lässt sich nicht kaufen oder herbei prügeln wie in Stuttgart, sondern nur erwerben. Die DDR-Führung versuchte es mit Bürgerverachtung und mit Bürgerausschaltung und - scheiterte. Die schlichte Erkenntnis "Wir sind das Volk" war stärker. Geschichte kann sich wiederholen.

Eine weitere Parallele zwischen der DDR 1989 und der BRD 2010: Die Regierenden haben als Letzte bemerkt, dass ein neuer Wind des Wandels weht. Der Bau von Mauern hat noch nie gegen den Wind des Wandels geholfen. Die Demonstranten rüsten sich für die nächsten Proteste.

Mit dem Prinzip Gorleben und mit dem Prinzip Stuttgart lässt sich jedenfalls verlorenes Vertrauen nicht zurückgewinnen. Normalerweise kritisiert die Polizei nach einem Einsatz die Demonstranten. Doch jetzt in Gorleben kritisierte sie die Regierung. Die Polizeigewerkschaft spricht von einem "Fanal fataler politischer Irrfahrt". Einen Gott sei Dank befriedeten Konflikt um die Atomenergie hat die Regierung ohne jeden Sinn und Verstand und ohne Not wieder aufgeheizt.

Kein Zweifel: Die Basta-Republik hat endgültig ausgedient. Wer dies nicht begreift, wird demnächst abgewählt.

Franz Alt ist Journalist und Buchautor

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