Inland

„Wir können nicht alles, aber etwas“

von Dirk Farke · 27. September 2012

Um die Situation der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und um über die politische und fachliche Weichenstellung zu diskutieren, lädt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG:WfbM) alle vier Jahre zu einem Kongress ein. Noch bis zum 28. September findet dieser in Freiburg statt.

Zu den Hauptrednerinnen, die zu diesem Thema etwas zu sagen haben, gehört zweifelsohne auch Ulrike Mascher. Von 1990 bis 2002 gehörte sie für die SPD dem Bundestag an und war die letzten vier Jahre Staatssekretärin im Arbeitsministerium. Seit 2008 ist sie Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland. Mascher skizzierte in ihrem Beitrag offen die Ist-Situation.

Verbesserung unter Finanzvorbehalt
Das neoliberale Wirtschaftsmodell habe die öffentliche Hand sukzessive verarmen lassen. „Einen armen Staat aber können sich nur Reiche leisten“, bemerkte die Präsidentin unter dem Beifall der Teilnehmer in der bis auf den letzten Platz gefüllten Messehalle. Mascher kritisierte in diesem Zusammenhang vor allem auch die Bundesregierung.

Zwar habe diese im letzten Jahr einen landesweiten Plan zur Verbesserung der Beschäftigungssituation für Behinderte gefasst, die Umsetzung aber unter einen Finanzvorbehalt gestellt. Gleichzeitig würden in der nächsten Zeit die Zuwendungen der Bundesagentur für Arbeit noch einmal um zwei Milliarden Euro gekürzt.

Zu Recht kritisierte Mascher auch das Verhalten der meisten Arbeitgeber, lieber die Ausgleichsabgabe zu bezahlen, als hoch motivierten Menschen mit einem Handycape eine Chance zu geben. Auch der stets angeführte Fachkräftemangel und der demographische Wandel werde die Situation für die Behinderten in den nächsten Jahren wohl nicht verbessern, resümierte die Politikerin und forderte einen „gesetzlich verpflichtenden Rahmen“ für die Arbeitgeber.

Sozialkritik reicht nicht
Über diesen „gesetzlich verpflichtenden Rahmen“ zu referieren war an diesem ersten Tag Peter Mauch, seit 2008 Präsident des Bundessozialgerichts, vorbehalten. Er sprach über die UN Konvention der Rechte von Menschen mit Behinderung (BRK).

Hierbei handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der Menschenrechte für die Lebenssituation behinderter Menschen konkretisiert, um ihnen die gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Die Konvention wurde 2006 in New York verabschiedet und trat im letzten Jahr auch in der EU in Kraft.

Die BRK, so der Jurist, schreibe zwingend den Erlass eines entsprechenden Leistungsgesetzes vor. Hierzu sei es aber leider in Deutschland immer noch nicht gekommen. „Wir dürfen nicht bei der Sozialkritik stehen bleiben, sondern müssen versuchen, die Politik zu beeinflussen“, forderte der Präsident des Bundessozialgerichtes. Erwerbslosigkeit, ob behindert oder nicht, sei schließlich als „ein Angriff auf die Würde des Menschen zu werten“.

In Vertretung von Baden Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) war es Silke Krebs am Mittwoch vorbehalten, für die Partizipation und Teilhabe von Behinderten in Baden-Württemberg mehr finanzielle Mittel von der Bundesregierung zu fordern.

Fortschritte?
Nicht recht in den Rahmen passen wollte der Beitrag von Peter Clever. Seit 2003 ist der Lobbyist Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und in Personalunion Vorsitzender des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit. Er habe viel zu viele Klagen und viel zu viel Negatives gehört an diesem Tag und forderte: "Wir müssen doch auch die Fortschritte wahrnehmen“.

Zu diesen sogenannten „Fortschritten“ gehört für ihn zum Beispiel, dass die Anzahl der arbeitslos gemeldeten Behinderten trotz Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 nur um fünf Prozent zugenommen habe. Sehr gefreut habe ihn auch, wie toll die Medien über die Paralympics berichtet hätten: „Das zeigt doch, dass sich was bewegt in unserer Gesellschaft“.

Wer nun dachte, dieser Zynismus sei nicht mehr steigerbar und vorzeitig die Räumlichkeiten verließ, verpasste die Schlussworte und den Höhepunkt der Büttenrede des närrischen Rheinländers. Grund und Ursache, warum in Deutschland momentan so viele Menschen wie nie zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien, seien die Arbeitsmarktreformieren gewesen. Gerade auch die Zeitarbeit habe für viele behinderte Menschen einen Stammarbeitsplatz gebracht. Und Hartz IV sei nichts anderes, als ein „soziales Instrument, um das uns viele Länder in Europa beneiden“.

Bleibt abschließend die Frage, wer bei der BAG auf die Idee kam, Clever einzuladen und ihm damit ein Forum zu bieten, seine weltfremden Thesen in die Öffentlichkeit zu bringen. Leider hat die BAG sich damit ein Kuckucksei ins Nest gelegt.

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