Inland

"Wir dürfen nicht die Augen verschließen"

von Sarah Schönewolf · 5. April 2014

Mit der grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen werden französische Jugendliche in Deutschland ausgebildet und zugleich für Frankreich qualifiziert. Über die nächsten Ziele des Projekts und die Auswirkungen des Schweizer Volksentscheids spricht Peter Friedrich, Mitunterzeichner der Vereinbarung und baden-württembergischer Europaminister, im Interview. 

Warum ist die grenzüberschreitende Rahmenvereinbarung so wichtig? Was ist der Mehrwert für beide Länder?

Die grassierende Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen ist die wichtigste Aufgabe für die Zukunft Europas. In Baden-Württemberg haben wir die geringste Jugendarbeitslosigkeit in der EU, aber bei unseren Nachbarn und Partnern in Europa sieht das zum Teil ganz anders aus. Im Elsass gibt es eine vergleichsweise hohe Jugendarbeitslosigkeit, zwar nicht so hoch wie in den Ländern Südeuropas, aber bei immerhin etwa 23 Prozent. Auf der anderen Rheinseite in Baden dagegen werden Fachkräfte dringend gesucht. Wir können den Jugendlichen hier soziale und berufliche Perspektiven bieten, wenn es uns gelingt, die Mobilität zu fördern und das Image der beruflichen Bildung in Frankreich zu verbessern.

Es geht darum, jungen Menschen durch Ausbildung eine Zukunftsperspektive zu eröffnen und gleichzeitig dem Fachkräftemangel in der Wirtschaft durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu begegnen. Darum haben wir im September vergangenen Jahres mit insgesamt 28 Partnern die Rahmenvereinbarung über die grenzüberschreitende Berufsausbildung abgeschlossen. Sie ermöglicht die Ausbildung mit einem theoretischen Teil im Heimatland - in der Muttersprache - und dem praktischen Teil im Nachbarland. So können wir gleichzeitig die künftigen Berufspendler ausbilden und die Vorteile des bewährten dualen Ausbildungsmodells für den Oberrhein nutzen.

Was ist das längerfristige Ziel des Projekts, was sind weitere “Meilensteine”?

Die Ausbildungssysteme und -traditionen in Deutschland und Frankreich sind unterschiedlich. Jenseits des Rheins streben Jugendliche nach wie vor eher eine universitäre Ausbildung an und halten duale Ausbildungen mit einem betrieblichen Teil für weniger attraktiv oder chancenorientiert. Deshalb ist es eine sehr große Herausforderung, die Möglichkeiten einer grenzüberschreitenden Ausbildung oder einer dualen Ausbildung in Baden-Württemberg auch in Frankreich bekannt zu machen und ein Bewusstsein zu schaffen für die Karrierechancen, die sich hier eröffnen.

Die IHK Karlsruhe hat mit dem Projekt „Wirtschaft macht Schule“, das im Jahr 2008 gestartet wurde, ein wegweisendes Modell für die bessere Vernetzung von Schulen und Unternehmen geschaffen. Heute ist man zu Recht stolz darauf, dass jede Schule im Kammerbezirk mindestens eine Unternehmenspartnerschaft aufweist. Gemeinsam mit der CCI Alsace soll nun dieses Erfolgsmodell auch auf die grenzüberschreitende Ausbildung übertragen werden. Eine erste Schulpartnerschaft zwischen Michelin und dem französischen Collège Charles de Gaulle in Seltz wurde bereits geschaffen.

Birgt die Rahmenvereinbarung nicht die Gefahr, dass Jugendliche, die geringer qualifiziert sind, in Deutschland keine Chance mehr auf eine Ausbildung haben, weil die Betriebe sich die besten Fachkräfte aus beiden Ländern sichern?

Gefahren drohen nicht von einem durchlässigen Arbeitsmarkt, sondern vielmehr durch die noch mangelhafte Chancengerechtigkeit unseres Bildungssystems. Wir sind sicher, dass wir bis Ende des Jahrzehnts eine Ausbildungsgarantie für alle jungen Menschen in Baden-Württemberg geben können. Dazu investieren wir mehr als jede Landesregierung in Bildung und haben eine flächendeckende Fachkräfteallianz mit Wirtschaft und Gewerkschaften im Land geschlossen.

Der Bedarf an Fachkräften ist so groß und wächst weiter, dass wir es uns nicht leisten können, Talente ungenutzt zu lassen. Deswegen muss unser Bildungssystem leistungsfördernd und durchlässig sein, darum investieren wir in die individuelle Förderung gerade bei Kindern mit schlechteren Startchancen. Das Unternehmen inzwischen europaweit nach Nachwuchs suchen ist eine Realität, vor der dürfen wir nicht die Augen verschließen.

Bisher sind es vor allem französische Jugendliche, die in Deutschland eine Ausbildung absolvieren. Sehen Sie da längerfristig einen “wirklichen” Austausch?

Einen guten Einstieg in eine grenzüberschreitende Ausbildung sind Praktika. So bietet beispielsweise das EUREGIO-Zertifikat der deutsch-französisch-schweizerischen Oberrheinkonferenz jährlich 230 Auszubildenden und Berufsschülerinnen und -schülern die Chance, durch ein längeres Praktikum berufliche Erfahrung im benachbarten Ausland zu sammeln. Auch in Fragen der Mobilität und der interkulturellen Kompetenzen müssen wir noch einiges tun. Das gilt sowohl für deutsche als auch für französische Jugendliche. Junge Menschen wissen oftmals wenig darüber, wie es sich im Nachbarland leben und arbeiten lässt. Daher müssen wir dafür sorgen, dass sie die entsprechenden Informationen erreichen.

Welche Auswirkungen hat der Schweizer Volksentscheid zur Begrenzung der Zuwanderung auf die trinationale Zusammenarbeit am Oberrhein?

Auf derzeitige Pendler aus Deutschland in die Schweiz wirkt sich die Abstimmung nicht unmittelbar aus, sie begehrt ja eine Einschränkung für zukünftige Zuwanderung. Allerdings schlägt die Entscheidung natürlich gewaltig auf die Stimmung. Unabhängig davon arbeiten wir seit Jahrzehnten vertrauensvoll am Oberrhein über die Grenzen hinweg zusammen. Ich gehe davon aus, dass wir die konkreten Herausforderungen auch weiterhin gemeinsam angehen werden. Dennoch glaube ich, dass wir in der EU über eine Schweiz-Strategie nachdenken müssen.

Was folgt daraus für Ihre Arbeit?

Die Schweiz muss wissen: es gibt keine Freiheit ohne Verpflichtung. Wirtschaftlich und bei der Förderung alle Vorteile genießen wollen, gleichzeitig aber sich in anderen Fragen abschotten wollen, das passt nicht zusammen. Wir arbeiten grenzübergreifend gut zusammen, wir haben sogar deutlich mehr EU-Mittel für gemeinsame Projekte. Mir ist jetzt wichtig in der Schweiz deutlich zu machen, wie sehr sie davon profitiert bei der EU dabei zu sein und was sie aufs Spiel setzt, wenn sie sich verabschiedet. Alleine mit den wirtschaftlichen Vorteilen der Schweiz zu argumentieren reicht nicht aus, es muss auch deutlich werden dass die Eidgenossen kulturell, wissenschaftlich und sozial den Anschluss verlieren, wenn sie sie sich einigeln.

Schlagwörter
Autor*in
Sarah Schönewolf
Sarah Schönewolf

ist Diplom-Politologin und Redakteurin des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare