Inland

„Wir brauchen jetzt Frauen, die uns aus der Krise herausführen“

von Holger Lührig · 20. April 2009
placeholder

Geschlechtergerechtigkeit ist für Sie eine Demokratiefrage. Vieles liegt hier aber noch im Argen. Auf welchen Politikfeldern sehen Sie besonderen Handlungsbedarf?

Gesine Schwan: Wir müssen die Schaffung von Geschlechtergerechtigkeit als klassische Querschnittsaufgabe betrachten. Dafür muss man bei den Wurzeln der Gesellschaft, etwa in der Bildung und in der Sozialpolitik, beginnen. Vor allem aber denke ich, dass wir den Frauenanteil in Aufsichtsräten und Vorständen, in der Professorenschaft und in anderen Führungspositionen stärken müssen. Es geht ja bei der Gleichberechtigung nicht nur um die Kommandohöhen der Gesellschaft, sondern um alle Lebensbereiche, aber von diesen exponierten Positionen geht eine besondere symbolische Strahlkraft aus.

Mit welchen konkreten politischen Maßnahmen und Instrumenten lassen sich bestehende Benachteiligungen bzw. Ungleichheiten bei Männern und Frauen nachhaltig abbauen? Wo sollten beispielsweise Quoten zum Tragen kommen?

Demokratiepolitisch finde ich Quoten nicht besonders attraktiv. Allerdings muss ich zugeben, dass die Quote zum Beispiel in den politischen Parteien eine sehr segensreiche Innovation war. Prinzipiell sollten Quoten dort greifen, wo wir krasse Disparitäten erkennen, also überall da, wo wir sehen, dass Frauen ohne dieses Instrument nicht zum Zuge kommen.

Im Magazin der Süddeutschen Zeitung schreibt der Journalist Hermann Droske in einem Kommentar, dass die Wirtschaftskrise vor allem eine Krise der Männer sei. Glauben Sie, dass es mit Frauen auf den Führungsetagen der Banken und in Aufsichtsräten eine derartige Krise nicht gegeben hätte?

Ein Stück weit glaube ich das tatsächlich. Die Krise ist durch einen überbordenden Konkurrenzdruck, auch zwischen den Banken und den Bankern, entstanden. Jede Kultur des Maßhaltens ist hier verloren gegangen. Wenn ich Frauen in Führungspositionen begegne, habe ich schon immer den Eindruck, dass sie für einen anderen Management-Stil stehen.

Sie suchen eher nach Allianzen als sich ganz alleine gegen alle durchsetzen zu wollen. Sie haben vielfach auch einen realistischeren Eindruck davon, was unter gegebenen Umständen möglich ist und was nicht. Das ist mittlerweile auch empirisch belegt. Von daher würde ich schon sagen: Mit mehr Frauen auf verantwortlichen Positionen in der Finanzwirtschaft hätte es diese Krise in dieser Form nicht gegeben. Im Umkehrschluss kann man dann auch folgern: Wir brauchen jetzt Frauen, die uns aus der Krise herausführen.

2035 werden in Deutschland fast 17 Millionen 65- bis 80-jährige Menschen leben. Bereits heute sind etwa zwei Drittel der über 65-Jährigen und drei Viertel der über 75-Jährigen Frauen. Gleichzeitig ist die alternde Gesellschaft aber auch noch sehr jugendlich. Lebensbegleitendes Lernen nimmt daher in der langen Nacherwerbsphase an Bedeutung zu. Mit welchen frauen- und bildungspolitischen Maßnahmen muss die Politik auf diese Entwicklung reagieren?

Ich glaube, hier liegt wirklich mehr eine allgemein gesellschaftspolitische als eine geschlechterspezifische Frage vor. Weil Wissen heute so schnell veraltet, müssen die Menschen einerseits mehr Methodenwissen erwerben, also lernen, wie man lernt, und andererseits mehr Bereitschaft aufbringen, immer wieder neue Qualifikationen zu erwerben.

Bildung in einem höheren Lebensalter ist also für alle wichtig - und kann übrigens ganz zweckfrei auch einfach schön und befriedigend sein. Trotzdem muss man natürlich im Auge haben, dass sowohl die Bildungsverläufe wie die Berufswege von Frauen und Männern unterschiedlich sind. Insofern muss man auch beim lebenslangen Lernen Angebote formulieren, welche die spezifischen Interessen der jeweiligen Gruppen treffen.

Ich weiß von vielen Frauen, die Hochschulabsolventinnen sind, dass sie gerne promoviert hätten, dies aber wegen der Kinderphase nicht verwirklicht haben. Vielleicht wäre es eine Idee, extra für diese Frauen eine Spät-Promotion einzuführen.

Welche Möglichkeiten hätten Sie als Bundespräsidentin, eine am Prinzip der Partnerschaft ausgerichtete Lebensgestaltung bei Männern und Frauen zu fördern?

Hier sehe ich eine ganz Reihe von Möglichkeiten. Man kann Partnerschaftlichkeit propagieren, man kann sie auch vorleben. Und man kann Unternehmen und Institutionen auszeichnen, die diese Philosophie zur gelebten Praxis machen. Die Idee der Partnerschaftlichkeit bezieht sich für mich ja nicht nur auf Männer und Frauen. Sie ist auch mein Ideal dafür, wie Deutsche und Nicht-Deutsche, Arbeiter und Manager, Ärzte und Patienten miteinander umgehen sollten.

Partnerschaftlichkeit und Gemeinsamkeit sind die wichtigsten Begriffe in meinem Denken. Von daher würde ich als Bundespräsidentin natürlich alles tun, um diese Ideale nach vorne zu bringen. In diesem Sinne bin ich eine fleißige Brückenbauerin.

Das Interview mit Gesine Schwan ist im Zweiwochendienst "Frauen.Gesellschaft und Politik" (Nr. 265) erschienen. www.zwd.info

0 Kommentare
Noch keine Kommentare