Inland

„Wir brauchen dringend ein Aufnahmekonzept“

Am Freitag treffen sich Vertreter der Bundesregierung und einiger Bundesländer zu einem Flüchtlingsgipfel. Günter Burkhardt, Geschäftsführer von „Pro Asyl“, wirbt für mehr finanzielle Unterstützung der Kommunen und warnt vor dem Bau von Großunterkünften.
von Kai Doering · 7. Mai 2015
Asyl
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Was erwarten Sie von dem Treffen im Kanzleramt, Herr Burkhardt?

Pro Asyl hofft, dass der Gipfel die Aufnahme und Integration von Asylsuchenden als gesamtgesellschaftliche Herausforderung betrachtet. Es muss dringend ein Aufnahmekonzept entwickelt werden, das Sprachkurse für alle Asylsuchenden von Anfang an beinhaltet. Zusätzlich brauchen wir ein kommunales Wohnungsbauprogramm – nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Menschen mit geringem Einkommen. Angesichts der demografischen Herausforderungen und der anhaltenden Land-Stadt-Bewegung führt daran kein Weg vorbei. Wir befürchten allerdings, dass die Aufnahme von Flüchtlingen auch weiterhin als etwas Vorübergehendes betrachtet wird. Dass man Großunterkünfte baut und betreibt, die dann wieder zur Zielscheibe von Rassismus werden.

Ein klares Plädoyer also für eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen?

Ja, unbedingt, und für faire Asylverfahren. Wir sehen mit einer gewissen Sorge die Beschlüsse des SPD-Präsidiums vom Montag, in denen die Rede davon ist, dass  der  Rechtsschutz im Asylverfahren noch weiter beschränkt werden soll. Dieses Vorgehen ist äußerst gefährlich für den Rechtsstaat und es ist auch kontraproduktiv. Die Erfahrung zeigt, dass vermeintliche Beschleunigungen eher zu Verlängerungen der Verfahren führen und auch zu einem Abbau von Rechtssicherheit in Deutschland. Am Beschluss des SPD-Präsidiums finden wir auch schwierig, dass Asylsuchende aus den Balkanstaaten später als bisher unter den Kommunen verteilt werden sollen. Damit werden bereits am Anfang eines Verfahrens pauschal Vorentscheidungen getroffen aufgrund politischer Einschätzungen zu einem Herkunftsland. Asyl ist aber eine unvoreingenommene Prüfung des Schutzbegehrens einzelner Menschen. Eine staatliche Politik, die versucht, Schemata anzulegen und Menschen aufgrund des Herkunftslandes unterschiedlich behandelt, verträgt sich damit nicht.

Auslöser des Flüchtlingsgipfels waren die Forderungen der Länder nach größerer finanzieller Unterstützung bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Sind die Kommunen überfordert?

In Deutschland haben Bund, Länder und Kommunen lange Jahre geglaubt, wir lebten auf einer asylpolitischen Insel. Sie gingen davon aus, dass die Konflikte an Europas Grenzen sie nicht erreichen. Diese Illusion ist nun zerplatzt. Die Kommunen brauchen ganz klar eine größere finanzielle Unterstützung, nicht nur bei der Unterbringung.  Es ist eine Bundesaufgabe, die Herausforderung zu lösen Auch Sprach- und Integrationskurse sind Aufgabe des Bundes.

Pro Asyl hält die Dublin-Regelung, nach der ein Flüchtling seinen Asylantrag in dem Land stellen muss, in dem er europäischen Boden betreten hat, für gescheitert. Selbst die Bundeskanzlerin hält Veränderungen für notwendig. Wie sollte eine neue Regelung aussehen?

Pro Asyl vertritt die Position, dass wir Weiterwanderungsmöglichkeiten aus anderen EU-Staaten ermöglichen müssen. Die Frage ist ja nicht: Kommen die Menschen oder kommen sie nicht? Die Menschen kommen, allerdings zurzeit illegal, weil die bisherigen Strukturen sie in die Illegalität drängen. In Deutschland leben mehr als 130 000 Syrer, 90 000 Iraker und rund 75 000 Afghanen, mehr als in jedem anderen EU-Staat. Eine schematische Verteilung neu ankommender Flüchtlinge auf die EU-Staaten, wie sie auch von manchen Sozialdemokraten gefordert wird, würde das Problem nicht lösen. Denn die Menschen werden versuchen, zu ihren Angehörigen zu gelangen. Asylsuchende müssen die Möglichkeit haben, den Staat, in dem sie einen Asylantrag stellen, frei wählen zu können. Die Ministerpräsidenten sollten sich dafür stark machen, dass Menschen, die hier Verwandte haben, nach Deutschland einreisen dürfen. Auch müssen Bund und Länder das humanitäre Aufnahmeprogramm für Syrer fortsetzen, damit diese sich nicht in die Hände von Schleppern begeben müssen oder auf illegalen Wegen in Italien, Griechenland oder Malta stranden.

Sie werfen der Politik vor, die Menschen erst in die Hände von Schlepperbanden zu treiben?

Die deutsche und die europäische Politik trägt durch Schließung der Grenzen und die Verweigerung von legalen Zugangsmöglichkeiten wie der Erteilung von Visa und durch das Auslaufen der humanitären Aufnahmeprogramme für Syrer eine Mitverantwortung am Sterben auf dem Meer. Menschen, die gute Gründe haben, hierher zu wollen, sehen oftmals keine andere Chance als sich in die Hände der so genannten Schlepper zu begeben.

Immer wieder schrecken Anschläge auf Flüchtlingsheime die Bevölkerung in Deutschland auf. Wie beurteilen Sie die gesellschaftliche Stimmung den Flüchtlingen und Asylsuchenden gegenüber?

Es gibt eine überwältigende Hilfsbereitschaft und Solidaritätsbewegung gegenüber den Flüchtlingen. An nahezu allen Orten, an die Flüchtlinge kommen, gibt es Willkommensinitiativen. Gleichzeitig gibt es aber auch den Versuch der Rechten, Stimmung gegen Ausländer zu machen und zu hetzen. Das wird dann gefährlich, wenn die etablierten Parteien anfangen, vom Missbrauch des Asylrechts zu sprechen oder gar die Parolen der Rechten benutzen.

Erkennen Sie solche Tendenzen bereits?

Es wird bei weitem nicht in dem Maße gehetzt, wie es in den 90er Jahren der Fall war.   Aber die Versuche, bestimmte Länder als sichere Herkunftsstaaten einzustufen, Sprachkurse nach Herkunftsland zu vergeben, eine Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt vorzunehmen oder auch der Vorschlag, große Sammelunterkünfte für Menschen aus sicheren Herkunftsländern zu  nutzen, wird die Lage in Deutschland verschärfen, weil diese Großunterkünfte bevorzugt Ziel der Aggression von Rassisten sind. Lager fördern Ausgrenzung und Desintegration.

Welches Signal muss aus Ihrer Sicht vom Flüchtlingsgipfel ausgehen?

Der so genannte Flüchtlingsgipfel kann sowohl ein Signal in positiver Hinsicht als auch in negativer Hinsicht senden. Ich hoffe, er sendet das deutliche Signal, dass die Integration von Asylsuchenden eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Es muss Geld investiert werden: in Sprachkurse, in die Vermittlung von Wohnungen, in Hilfestellung bei der Suche eines Arbeitsplatzes. Wir müssen wegkommen von dem Gedanken, dass Asylsuchende eine Last sind. Sie können nach der Phase der Erstaufnahme unsere Gesellschaft auch voranbringen. Gleichzeitig sollte ein Signal in Richtung EU ausgehen, dass Deutschland als das stärkste Land bereit ist, die Randstaaten Europas zu entlasten und den Flüchtlingen eine Weiterreise zu ermöglichen.

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Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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