Inland

Wir bauen ein Schloss für Europa

von Sarah Schönewolf · 9. Mai 2014

Nicht nur wegen der aktuellen Lage in der Ukraine ist Frank-Walter Steinmeier in diesen Tagen viel beschäftigt. Dass sich der Bundesaußenminister dennoch am Freitag die Zeit nimmt, auch den zweiten Konferenztag der Veranstaltung „Europa – Traum und Wirklichkeit“ in Berlin zu eröffnen, macht die enorme Bedeutung einer europäischen Identität deutlich.

„Ist es eigentlich die richtige Zeit von Europa zu träumen? Darf man eine Konferenz zum Traum von Europa machen, wenn auf diesem Kontinent zeitgleich die schwerste außenpolitische Krise seit Ende des Kalten Krieges tobt?“ Frank-Walter Steinmeier gibt in seiner Antwort gleich zu Beginn der Veranstaltung „Europa – Traum und Wirklichkeit“ den Sinn des zweiten Konferenztages  vor: „Ja, denn das gehört zur Arbeit an Europa. Sie muss raus in eine breite Öffentlichkeit, sie muss offen sein und streitbar.“

Auf Europa aufpassen

Das Modell Europa sei die Hoffnung auf eine nie selbstverständliche, immer wieder neu herzustellende Balance von Freiheit und Sicherheit, sagt Steinmeier. Diese Balance sei nicht über Nacht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis eines jahrhundertlangen Prozesses.

Dass dieser Prozess andauere und er zugleich auch in Auseinandersetzungen erneuert werden muss, um ihn zu bewahren,  macht die ungarische Philosophin Ágnes Heller deutlich. In ihrem Beitrag zur Frage nach der Existenz einer europäischen Wertegemeinschaft, mahnt die Philosophin ein stärkeres Eintreten für den Wert der „Freiheit“ an.

„Ob es eine europäische Tradition von Freiheit gibt, hängt von dem Geist seiner Bürger ab.“ Europa sei der einzige Kontinent, der aus Nationalstaaten bestehe, so Heller. Die Tür zur nationalstaatlichen Idee könne und müsse geschlossen werde, warnt sie und rät in Anlehnung an Thomas Manns Essay „Achtung, Europa!“: „europe, take care!“

Europa verteidigen

Heller, die in zwei Tagen 85 Jahre alt wird, hat am Vortag auch an der Europäischen Schriftstellerkonferenz teilgenommen (zum Artikel). Deren Ergebnis, ein Manifest zur Zukunft Europas, diskutieren die Schriftsteller Mely Kiyak und Nicol Ljubic im Gespräch mit dem früheren Kulturstaatsminister Michael Naumann. Die beiden Autoren und Mitinitiatoren der Konferenz verteidigen gegenüber Naumann den melancholischen Unterton, den dieser im Manifest vernommen haben will.

„Europa ist eigentlich nur aus der persönlichen Erfahrung in Worte zu fassen,“ sagt Ljubic. Die Erfahrungen von Krieg und Zerstörung, wie sie bosnische, kroatische oder albanische Autorinnen gemacht hätten, fließen daher auch in ihr Europaverständnis ein, ergänzt Kiyak und macht zugleich den Mehrwert dieser persönlichen Sicht deutlich : „Niemand kann so gut vermitteln, dass hinter der Landesgrenze kein Feind, sondern ein Freund wohnt, wie ein Autor.“

Von Europa träumen

Dass sich die europäische Identität hinter der Grenze besser erkennen lässt, als innerhalb Europas, ist der Tenor einer weiteren Diskussionsveranstaltung am Freitag. „Um an Europa glauben zu können, muss man außerhalb Europas sein“, sagt der französische Politikwissenschaftler und Autor Dominique Moisi. Es sei ironisch, dass am 25. Mai vermutlich die Ukrainer zugunsten der Europäischen Union wählen würden, während die französischen Wähler gegen die EU votierten.

Die dänische Schriftstellerin Janne Teller sieht die Ursache für das Fehlen einer europäischen Identität im Fehlen gemeinsamer Identitätsstifter begründet. „Wir haben keine europäischen Schlösser, keine europäischen Skulpturen, keine europäische Freiheitsstatue.“ Auf den Einwand des Schriftstellers Peter Schneider, dass die europäische Identität quasi ein Zusatz sei, macht Teller klar, dass sie sich zu gleichen Teilen als Dänin und Europäerin begreift. Sie fügt hinzu: „Vielleicht baue ich das Schloss.“ Das Konferenzmotto von Traum und Wirklichkeit hätte nicht besser verstanden werden können.

Mehr:

Bilderstrecke zur Europäischen Schriftstellerkonferenz

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Sarah Schönewolf
Sarah Schönewolf

ist Diplom-Politologin und Redakteurin des vorwärts.

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