Inland

"Willy komm ans Fenster?"

von Stefan Grönebaum · 27. März 2007
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37 Jahre nach seinem legendären Besuch in Erfurt am 19. März 1970 soll Willy Brandt in Thüringens Landeshauptstadt ein Denkmal erhalten, dass an seinen Auftritt am Fenster erinnert. Die Initiative zu dem Denkmal kam von dem im Frühjahr 2006 neu gewählten SPD-OB Andreas Bausewein. Doch der Entwurf des Berliner Konzeptkünstlers David Mannstein, der unter 123 Einsendungen ausgewählt wurde, stößt bei vielen Erfurtern auf heftige Kritik. Der Künstler will auf dem Dach des früheren Hotels "Erfurter Hof", wo Brandt damals mit Willi Stoph konferiert hatte, die Leuchtschrift installieren: "Willy komm ans Fenster." Dies gefiel der kunstsinnigen Jury um den städtischen Kunsthallenleiter Kai-Uwe Schierz besonders, weil die Zeile gegenüber dem tatsächlichen Ausruf "Willy Brandt ans Fenster" mehrdeutig, ja geradezu erotisch auslegbar sei.

Dies empört nun viele Erfurter, die in Leserbriefen von "nicht hinnehmbarer Beliebigkeit" und einem "typischen Zeichen von Provinzialität" schrieben, das dem historischen Ereignis nicht gerecht werde. Auch Angehörige wie Willy Brandts letzte Frau Brigitte Seebacher-Brandt äußerten sich stark ablehnend ("grässlich und grotesk"). Und Brandt-Biograph Peter Merseburger ("Quatsch") wie Bernd Faulenbach, Geschichtsprofessor in Bochum und Vorsitzender der Historischen Kommission der SPD äußerten sich kritisch ("nicht überzeugend") - Merseburger will mindestens ein Ausrufezeichen hinter der Leuchtschrift.

Angesichts der massiven Kritik aus vielen Richtungen reagierte das Rathaus: Oberbürgermeister Andreas Bausewein versprach, der Text werde entsprechend der historischen Aussage geändert. Der Entwurf des Künstlers sieht übrigens auch vor, dass Brandt-Fenster nachts zu beleuchten und an der Fassade des alten Hotels einen Infoterminal zu Willy Brandt einzurichten. Die Stadt hat 130 000 Euro für das Denkmal vorgesehen, vielleicht wird das Kunstwerk nun verwirklicht, da den historischen Tatsachen genüge getan wird.

Quellen: Der Beitrag "Eine Leuchtreklame, der das Ausrufezeichen fehlt" von DEMO-Autor Harald Lachmann in Stuttgarter Zeitung vom 27. März 2007, www.erfurt.de

Autor*in
Stefan Grönebaum

war von 1994 bis 1998 Büroleiter und Persönlicher Referent des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rüdiger Fikentscher.

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