Paukenschlag im NSU-Prozess: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe hat ihren Anwälten überraschend das Vertrauen entzogen, über die Gründe wird gerätselt. Womöglich will sie nach einem Jahr Schweigen nun doch aussagen.
Zu Beginn der Verhandlungswoche schien im Münchner Oberlandesgericht noch alles in gewohnten Bahnen zu laufen. Richter Manfred Götzl hatte Tino Brandt als Zeugen geladen, der in den 90er Jahren einer der führenden Köpfe der rechten Szene war, engen Kontakt zum NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hatte und als V-Mann für den Thüringer Verfassungsschutz arbeitete.
Brandt ist ein wichtiger Zeuge und er belastete Zschäpe schwer. Doch seine Vernehmung musste am Mittwoch abgebrochen werden, weil die Hauptangeklagte ihren drei Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl überraschend das Vertrauen entzog. Richter Götzl brach die Vernehmung ab und vertagte die Sitzung auf kommende Woche. Zschäpe forderte er auf, die Gründe für ihren Antrag, ihren Verteidigern das Mandat zu entziehen, dem Gericht am nächsten Tag schriftlich vorzulegen.
Warum Zschäpe am 128. Verhandlungstag kein Vertrauen mehr zu ihren Anwälten hat, ist unklar. Spekuliert wird, dass sie ihr Schweigen brechen will, obwohl ihre Verteidiger davon abraten.
Hohe Hürden für Verteidigerwechsel
Ob dies allerdings ausreicht, um neue Anwälte zu bekommen, ist fraglich. Um ihre Pflichtverteidiger von ihrem Mandat zu entbinden, muss Zschäpe nämlich für jeden der drei Anwälte konkret nachweisen, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört und eine Verteidigung nicht mehr möglich ist. Die Pflichtverteidiger Heer, Sturm und Stahl gaben bislang keine Stellungnahme ab.
Die Bundesanwaltschaft wies darauf hin, dass es immer wieder Anträge auf Wechsel der Verteidigung in Prozessen gebe, dem aber nur selten entsprochen werde. Sie kündigte eine ausführliche Stellungnahme an, wenn die schriftliche Begründung des Antrags von Zschäpe vorliege.
Das Gericht muss dem Antrag von Zschäpe nicht folgen, die Anwälte würden dann ihr Mandat behalten. Möglicherweise würde auch nur ein Pflichtverteidiger sein Mandat niederlegen. In beiden Fällen würde der Prozess fortgesetzt werden. Damit rechnen die meisten Prozessbeobachter.
Eine unlösbare Aufgabe
Falls das Gericht Zschäpes Antrag folgen sollte, müssten neue Pflichtverteidiger bestellt werden. Innerhalb von 30 Tagen müssten sie sich in die Materie einarbeiten. Angesichts von 280.000 Seiten Akten und bislang etwa 300 Zeugenvernehmungen eine schier unlösbare Aufgabe.
In dem Mammut-Prozess wird seit dem 6. Mai 2013 gegen Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verhandelt. Es geht um die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), die Zschäpe zusammen mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gebildet haben soll. Dem NSU werden zehn Morde, zwei Bombenanschläge und ein Dutzend Banküberfälle vorgeworfen. Die anderen vier Angeklagten, Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E., müssen sich wegen Beihilfe verantworten. Mutmaßliche Haupttäter waren die Rechtsradikalen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die am 4. November 2011 nach einem gescheiterten Banküberfall Selbstmord begingen.