Wie Städte auf Corona-„Spaziergänge“ reagieren
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Eine Stadt wehrt sich „gegen ein Image, das ihr wenige Menschen deutschlandweit eingebrockt haben. Wir akzeptieren alle, ob geimpft, getestet oder genesen, aber wir akzeptieren keine Radikalisierung“, war die klare Botschaft von Freibergs Oberbürgermeister Sven Krüger zum Auftakt der neuen deutschlandweiten Kampagne „Wir lieben Freiberg“.
Adressat*in sind die Spaziergänger*innen, die sich in Freiberg regelmäßig versammeln. In der sächsischen „Silberstadt“ treffen sich bereits seit Monaten jede Woche Gegner der Corona-Politik zu so genannten Montags-Spaziergängen. In Sachsen sind laut der geltenden Corona-Notfall-Verordnung zurzeit allerdings derzeit nur ortsfeste Versammlungen mit maximal zehn Teilnehmern zulässig.
Nachdem Kritik immer lauter wurde, greift die Polizei mittlerweile stärker gegen die Teilnehmer*innen der verbotenen Demonstrationen durch, auf Grundlage der genannten Verordnung. Die Bürger-Initiative „Freiberg für alle“ hatte in einem offenen Brief gefordert: „Wir fordern die Spaziergänger auf, dieses weitere Befeuern der Pandemie zu unterlassen. Von der Politik erwarten wir, diese illegalen Demonstrationen nicht länger zu dulden. Es gelten Regeln und die gelten für alle.“
Diskussion über den Begriff „Spaziergang“
„Spaziergang“ nennen seit Wochen Gegner*innen der Corona-Politik Zusammenkünfte, bei denen zumeist gegen die geltenden Corona-Regeln verstoßen wird. Der Begriff klingt an sich ja ganz harmlos –nNicht selten kommt es bei diesen Protesten aber zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen. Nicht nur Freiberg, viele Kommunen sind betroffen.
Klar ist: Die in Artikel 8 Grundgesetz geschützte Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut und gilt auch für das Demonstrationsrecht, also für Zusammenkünfte zur öffentlichen Meinungsbildung. Dem Gestz nach müssen sich die Teilnehmenden treffen, um etwas zu erörtern und nach außen hin sichtbar einen Standpunkt einnehmen. Die Behörden müssen dabei die speziellen Umstände genau prüfen: Verabreden sich die Leute gezielt? Tragen sie Plakate bei sich? Laufen sie gemeinsam eine bestimmte Strecke ab? Rufen sie Parolen? All das deutet auf eine – zurzeit meist verbotne – Versammlung hin und dürfte bei sehr vielen „Spaziergängen“ zutreffen.
Allerdings gelten auch für grundgesetzlich garantierte Versammlungen Regeln: Sie müssen friedlich und ohne Waffen verlaufen. Für Versammlungen unter freiem Himmel gibt es Einschränkungen, etwa durch das Versammlungsgesetz. Sie müssen 48 Stunden vor Beginn angemeldet und ein Versammlungsleiter muss benannt werden. Verbote sind auf Grundlage von Paragraf 15 Abs.1 des Versammlungsgesetzes gerechtfertigt, wenn unmittelbar die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ist.
Mehrere Kommunen erlassen Allgemeinverfügungen
So hat die Stadt Stuttgart zum Jahresende 2021 eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach sie vom 1. Januar dieses Jahres an „alle nicht angemeldeten und als Spaziergänge deklarierte Demonstrationen in der Stuttgarter Innenstadt, die sich gegen die Corona‐Verordnung richten“, verbietet. Die Stadt begründet das mit den vorsätzlichen Verstößen gegen das Versammlungsrecht sowie mit bewussten Verstößen gegen die Masken‐ und Abstandspflicht bei vorangegangenen vergleichbaren „Spaziergängen“.
Zudem zeigten die Erfahrungen aus andereren Städten wie Mannheim, München oder Schweinfurt, dass die Aktionen der Bewegung zunehmend aggressiver und gewaltbereiter verlaufen, hieß es. Auch Städte wie Mannheim, Karlsruhe, Schwäbisch-Hall und zuletzt Bruchsal haben die spontanen Zusammenkünfte bereits verboten.
München zieht nach
Ebenso hat München nachgezogen: „Die Allgemeinverfügung dient dazu, einem Wildwuchs an in keiner Weise vertretbaren Demos mit zum Teil gewaltbereiten Teilnehmenden vorzubeugen, bei denen weder Mindestabstände eingehalten noch Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden“, teilte die bayerische Landeshauptstadt mit. Bei Verstößen können Teilnehmer*innen mit Bußgeldern von bis zu 3000 Euro belegt werden.
Die Stadt München stellte aber auch klar, dass weiterhin gegen die Coronapolitik demonstriert werden darf: „Demonstrationen, die sich gegen die Pandemiebekämpfung richten, können weiterhin nach vorheriger fristgerechter Anmeldung beim Kreisverwaltungsreferat und gemäß der dort erlassenen Auflagen durchgeführt werden, soweit keine unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit bestehen“, heißt es in einer Mitteilung. Dabei gilt eine Anmeldefrist von 48 Stunden.
Freiberg: Appell an Bürger*innen und Bürger
Der Freiberger Oberbürgermeister Sven Krüger wandte sich zu Weihnachten an die Bürger*innen und stellte fest: „Das Bild von Freiberg und der Region ist derzeit bundesweit durch „Montagsspaziergänger“ und Corona-Proteste geprägt. Es überlagert den Blick auf das, was Freiberg seit Jahrhunderten auszeichnet: Weltoffenheit und eine solidarische Stadtgesellschaft, lebendige Kultur und Wissenschaft, Respekt und Gastfreundschaft.“ Krüger appellierte, sich nicht an den illegalen Protesten zu beteiligen.
Und in seiner Neujahresansprache sagte er: „Der Protest ist gekippt. Er war nicht mehr auf Inhalte bezogen, ging zu Lasten unserer Stadt, unserer Bürger – zu Lasten dessen, was unsere Gesellschaft ausmacht. Es ging nicht mehr um die Suche nach Lösungen. Aus Protest wurde teilweise Provokation. Aber genau das sollte niemals der Sinn von Protest sein. Ein Protest ist erlaubt, muss auf Fehler hinweisen, aber legal. Denn für uns alle gilt: Kritik muss uns Lösungen eröffnen.“
Der Text erschien zuerst auf demo-online.de.
ist Leitende Redakteurin beim Vorwärts-Verlag und verantwortlich für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.