Wie sich der Kapitalismus nach Corona verändern muss
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Das Coronavirus hat die Weltwirtschaft hart getroffen. Vielen Ländern droht eine Rezession. Ist der Kapitalismus für eine globale Pandemie dieses Ausmaßes nicht ausreichend gerüstet?
Der Kapitalismus ist für derart tiefe Krisen wie sie zurzeit die Corona-Pandemie verursacht, überhaupt nicht gerüstet. Das hat sich bereits in der Finanzkrise gezeigt und es zeigt sich zum Teil auch in der Klimakrise. Der neoliberale Kapitalismus ist ein Schönwetter-Programm, in dem es viel zu gewinnen gibt, wenn die Rahmenbedingungen gut sind, der aber große Probleme bekommt, sobald ein paar Wolken aufziehen. Die Hohepriester des Neoliberalismus behaupten ja immer, der Staat sei das Problem und der Markt die Rettung. Jetzt in der Krise zeigt sich: Es ist genau umgekehrt.
Wie müsste sich der Kapitalismus ändern, um krisenfester zu werden?
Das erste Instrument, um Krisen abzufedern, ist der Sozialstaat. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist er in Deutschland zum Glück noch weitgehend intakt. Ein zweites Element, um den Kapitalismus krisenfester zu machen, wäre eine stärkere Rolle des Staates und der Bürger in der Wirtschaft. Ich würde zum Beispiel einen großen Investitionsfonds zur Unterstützung von Unternehmen für sinnvoll halten, an dem sich auch die Bürger beteiligen können. Das wäre eine Möglichkeit, die Unternehmen zu demokratisieren und das Produktivvermögen der Wirtschaft langfristig gerechter zu verteilen. Gleichzeit muss eine staatliche Absicherung aller Bürger garantiert sein, um ihnen Zukunftsängste zu nehmen.
Während in den USA innerhalb von Tagen Millionen Menschen arbeitslos geworden sind, sichert in Deutschland die Kurzarbeit bislang die meisten Arbeitsplätze. Zeigt sich in der Krise die Stärke der sozialen Marktwirtschaft?
Ja und nein. In der Corona-Krise hat der Staat sehr schnell mit Hilfsprogrammen reagiert und so Schlimmeres verhindert. Auch den Verwundbarsten wie Selbstständigen und Kulturschaffenden wurde, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, schnell geholfen. Auf der anderen Seite zeigen sich gerade die Schwächen unserer sozialen Marktwirtschaft wie die weitgehende Privatisierung unseres Gesundheitssystems durch fehlende Analysekapazitäten von Corona-Tests und den Personalnotstand in Pflegeeinrichtungen.
In welchen Ländern macht sich das besonders bemerkbar?
Da habe ich die Hochkulturen des Neoliberalismus im Blick: die USA und Großbritannien. Das amerikanische Gesundheitssystem ist pro Person doppelt so teuer wie in Deutschland und kommt doch nur einer kleinen Gruppe zugute. Das ist skandalös. Nicht umsonst zählen mehr als die Hälfte aller bisherigen Corona-Toten in den USA zum ärmsten Teil der Bevölkerung.
In der Corona-Krise war schnell die Rede von systemrelevanten Berufen. Für Pflegepersonal wurde applaudiert. Sehen Sie eine Chance, dass gerade ein generelles Umdenken stattfindet oder ist nach Corona alles so wie vorher?
Ich habe den Eindruck, in der Bevölkerung findet dieses Umdenken statt. Ob es dauerhaft bis hoch zu den Entscheidern reichen wird, bleibt abzuwarten. Ich hoffe es auf jeden Fall. Immerhin hat der Bundesgesundheitsminister gesagt, dass Pflegekräfte künftig tarifvertraglich bezahlt werden sollen. Das ist schon mal gut. Über Applaus hinaus brauchen wir endlich die Einsicht, dass Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden müssen. Und auch die Ausbildung muss aufgewertet werden.
Sie fordern seit langem, der Kapitalismus müsse grundlegend verändert werden. Bereits vor Ausbruch des Corona-Virus hat in Deutschland die Kritik am Wirtschaftssystem zugenommen, etwa mit der Forderung, dass Wohnraum keine Ware sein dürfe. Freut Sie das?
Ich finde es sehr positiv, dass inzwischen ganz offen über staatliche Beteiligungen an der Wirtschaft gesprochen wird, während man noch vor wenigen Wochen hasserfüllte Kommentare über diejenige gelesen hat, die das Wort Enteignung nur in den Mund genommen haben. Für mich ist klar, dass soziale Grundbedürfnisse wie Wohnen, Gesundheit, Pflege oder Verkehr nicht kapitalistischen Renditekriterien unterworfen werden dürfen. Das heißt nicht, dass all das vom Staat betrieben werden muss. Das können auch gemeinnützige Organisationen übernehmen oder Genossenschaften. Sichergestellt sein muss nur, dass der Betrieb nicht gewinnorientiert ist.
Können Verstaatlichungen in manchen Bereichen sinnvoll sein?
Verstaatlichungen sind kein Patentrezept, um die Wirtschaft zu demokratisieren. Allerdings kann staatlicher Einfluss Krisen verhindern und Innovationen im Sinne der Gesellschaft voranbringen. Besonders wichtig ist er in Institutionen der Grundversorgung in denen die Menschen im Mittelpunkt stehen müssen und nicht die Rendite der Eigentümer.
Manche Länder wie etwa Dänemark knüpfen staatliche Hilfen daran, dass die Unternehmen nachweisen müssen, dass sie keine Gewinne in Steueroasen geparkt haben. Warum ist das in Deutschland nicht so?
Ich habe seit vielen Jahren den Eindruck, dass die deutsche Politik und insbesondere die große Koalition sehr vorsichtig ist, bei Eingriffen in die Wirtschaft und überhaupt gegenüber den großen Unternehmen. Ich habe zum Beispiel immer gehofft, dass Deutschland endlich mal wieder einen Verkehrsminister bekommt und keinen Autominister. Deshalb finde ich es gut, wenn eine Regierung ihre Hilfe an bestimmte Bedingungen knüpft. Was in Dänemark möglich ist, sollte auch in Deutschland gehen. Auch bei uns gäbe es viele Gründe, Unterstützungen für Unternehmen zu hinterfragen – etwa, wenn sie trotz Kurzarbeitergeld satte Dividenden ausschütten. Der Staat muss den Verlierern helfen und nicht den Gewinnern.
Auch das Bedingungslose Grundeinkommen erhält vor dem Hintergrund von Corona neuen Auftrieb. Könnte es den Menschen in Deutschland helfen, besser durch die Krise zu kommen?
Für die Bewältigung der akuten Krise ist das Bedingungslose Grundeinkommen nicht die Lösung. Die Menschen sind vollkommen unterschiedlich von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen. Die meisten Beamten oder Angestellten beziehen ganz normal ihren Lohn weiter, während andere Berufe überproportional betroffen sind und vor dem Aus stehen. In der Krise wäre deshalb ein bedingtes Grundeinkommen für diese Gruppen sinnvoll, aber kein bedingungsloses für alle. Für die Zukunft halte ich das Bedingungslose Grundeinkommen aber für wichtig, weil es eine gute Antwort ist auf die Herausforderungen einer flexibilisierten, digitalen Wirtschaft. In dieser neuen Arbeitswelt kann ein Grundeinkommen die Menschen nach unten absichern. Es sollte aber steuerlich gegengerechnet werden: Wer mehr Arbeitseinkommen hat, sollte weniger Grundeinkommen erhalten als der, der weniger Arbeitseinkommen hat. Und wer arbeitet, muss immer mehr verdienen als derjenige, der nicht arbeitet. So ließe sich das Grundeinkommen als Trampolin benutzen, um selbstbestimmt etwas zu gestalten.
In der Corona-Krise ist die Kritik am Kapitalismus nochmal deutlich lauter geworden. Sehen Sie in der Krise eine Chance auf echte Veränderung?
Der Begriff Chance klingt im Zusammenhang mit Corona immer etwas zynisch, aber ich denke schon, dass wir die gegenwärtige Situation zu einer Chance werden lassen können, wenn wir danach nicht dieselbe Wachstumspolitik wieder eröffnen als wäre nichts gewesen. Wir sollten ganz klar unterscheiden, welche Art von Wirtschaftspolitik nachhaltig ist und überlegen, welche Branchen wir verändern müssen. Wir sollten zum Beispiel nicht anstreben, dass nach der Corona-Krise wieder so viel geflogen wird wie vorher. Stattdessen sollte das Verkehrssystem in Richtung Klimafreundlichkeit umgebaut werden. Und wir sollten die Krise für ein Stück Entglobalisierung nutzen, um etwa die industrialisierte Landwirtschaft zurückzudrängen, ohne dabei in einen Nationalismus zurückzufallen.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.