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Wie sich das Rheinische Revier auf den Kohleausstieg vorbereitet

Bis spätestens 2038 soll Deutschland aus der Kohle aussteigen. So schlägt es die Kohlekommission vor. Im Rheinischen Braunkohlerevier bereiten sich die Menschen darauf vor – und entwickeln Ideen für die Zukunft.
von Kai Doering · 27. Februar 2019
Bis 2030 soll der Tagebau Hambach ausgekohlt sein. Für die Zeit danach gibt es bereits Ideen im Rheinischen Revier.
Bis 2030 soll der Tagebau Hambach ausgekohlt sein. Für die Zeit danach gibt es bereits Ideen im Rheinischen Revier.

Rudi Bertram und Claudia Moll sind im Moment viel unterwegs. Drei Karnevalssitzungen an einem Abend sind ganz normal für den Eschweiler Bürgermeister und die Bundestagsabgeordnete. In die närrische Ausgelassenheit mischen sich in der rheinischen Karnevalshochburg seit kurzem allerdings bange Fragen an die beiden.

Spätestens 2038 soll mit der Kohle Schluss sein

Der Grund ist 336 Seiten dick und seit dem 26. Januar in der Welt. In ihrem Abschlussbericht hat die „Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – kurz Kohlekommission – einen Fahrplan für den Ausstieg aus der Braunkohle vorgelegt. Spätestens 2038 soll Schluss sein. Ältere Kraftwerke sollen bereits deutlich früher vom Netz gehen. Das Kraftwerk Weisweiler vor den Toren Eschweilers, gebaut in den 70er Jahren, ist so eines. Laut der Naturschutzorganisation BUND hat es den drittgrößten CO2-Ausstoß aller deutschen Kohlekraftwerke.

Nach der aktuellen Planung soll das Kraftwerk 2030 stillgelegt werden, wenn der nahe Tagebau Inden „ausgekohlt“ ist. Die Vorschläge der Kohlekommission sehen allerdings vor, dass bereits bis 2022 die Leistung von Kraftwerken zurückgefahren wird. „Das ist morgen früh“, sagt Rudi Bertram. Der Bürgermeister will nicht falsch verstanden werden. „Wir sind keine Hinterwäldler, die unbedingt an der Kohle festhalten wollen“, sagt er. „Aber wir brauchen Zeit, um den Strukturwandel vorzubereiten.“

Erfahrung mit dem Strukturwandel

Im „Rheinischen Revier“, wie die Gegend zwischen Aachen und Köln genannt wird, haben sie damit durchaus Erfahrung. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Steinkohlebergbau eingestellt und auch, dass die Braunkohle ein Ende haben würde, war hier allen klar. „Wir haben bereits vor 20 Jahren gesagt, dass wir uns Gedanken machen müssen, damit wir eine Zukunft haben“, sagt Rudi Bertram. Es wurden Pläne zur Renaturierung alter Tagebaue entwickelt. Einer, der „Blausteinsee“, ist heute ein beliebtes Naherholungsgebiet. Im vergangenen Jahr wurde Eschweiler mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet.

„Wir haben die Chance, weltweit zu zeigen, wie der Strukturwandel konkret funktioniert“, ist deshalb Claudia Moll überzeugt. Die Abgeordnete ist gebürtige Eschweilerin und stammt aus einer Bergmannsfamilie. „2009 wurde mir Hysterie vorgeworfen, als ich gesagt habe, der Kohleausstieg wird schneller kommen als wir denken“, erinnert sich Moll. Nun sei es wichtig, den Menschen in der Region Sicherheit zu geben, dass der Strukturwandel sie nicht zu Verlierern macht.

Strukturbrüche verhindern, den Wandel gestalten

Für einen Freitag Anfang Februar hat sie sich deshalb Unterstützung aus dem Bundestag eingeladen. Gemeinsam mit Dietmar Nietan, Abgeordneter aus dem Nachbarwahlkreis Düren, und Matthias Miersch, als stellvertretender Fraktionsvorsitzender u.a. zuständig für den Bereich Energie, trifft sich Claudia Moll mit Beschäftigten und Kommunalpolitikern aus der Region.

„Wir wollen keine Strukturbrüche“, versichert Miersch, der beratend an den Sitzungen der Kohlekommission teilgenommen hat. Die Kommissionsvorschläge seien gut, deshalb sei es wichtig, sie „soweit es geht“ eins zu eins umzusetzen. „Die Regionen müssen jetzt als Anwälte auftreten“, fordert Miersch und ihre Anforderungen an Land und Bund klar formulieren. „Das Geld für den Strukturwandel muss zuerst dorthin fließen, wo er beginnt“, meint auch Dietmar Nietan.

Vision für die Zeit nach der Kohle

Matthias Dürbaum hört das gern. „Die Stimmung unter den Kollegen ist schon seit Monaten angespannt“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende des Tagebaus Hambach. Insofern sei es gut, dass die Empfehlung der Kommission nun da sei. „Wir werden uns aktiv in den anstehenden Prozess einbringen“, sagt Dürbaum.

Einige Kilometer weiter nördlich, im Forschungszentrum Jülich, sehen sie der Entwicklung mit Neugier entgegen. „Durch den Strukturwandel gibt es eine Grundspannung in der Region“, meint Ulrich Schurr. Der Professor für Pflanzenwissenschaften will das Rheinische Revier zu einer Modellregion entwickeln. „Von der Braunkohle zur Bioökonomie“ lautet die Vision. „Dafür sollten wir das Momentum nutzen.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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