Inland

Wie lässt sich Altersarmut verhindern?

von Carl-Friedrich Höck · 5. September 2012

Mit ihrer Idee, eine Zuschussrente einzuführen, zieht Arbeitsministerin Ursula von der Leyen Kritik von fast allen Seiten auf sich. Doch immerhin ist mit ihrem Vorstoß ein Thema wieder auf die Tagesordnung gerückt: Altersarmut könnte in Zukunft ein Massenphänomen werden. Wo liegen die Probleme und was sind die Alternativen zur Zuschussrente? Ein Überblick.

Es war eine drastische Warnung, mit der Ursula von der Leyen am vergangenen Wochenende die Öffentlichkeit aufschreckte: Wenn das Rentensystem nicht reformiert werde, drohe sogar vielen Durchschnittsverdienern in Zukunft die Altersarmut. Sie rechnete vor: Ab 2030 bekämen Rentner, die 35 Jahre Vollzeit gearbeitet und dabei 2.500 Euro brutto verdient haben, nur eine Rente in Höhe von etwa 688 Euro – dem derzeitigen Grundsicherungsbetrag. Zumindest dann, wenn sie nicht zusätzlich privat vorgesorgt hätten. Ihr Fazit: Wenn die Politik nicht eingreife, werde es „kein Ausnahmefall mehr sein, dass Niedrigverdiener (...) mit dem Tag des Renteneintritts den Gang zum Sozialamt antreten müssen.“

Tatsächlich wird die gesetzliche Rentenversicherung den Rentnern künftig weniger einbringen. Bis 2030 wird das Sicherungsniveau nach jetzigem Stand von knapp 51 Prozent auf etwa 43 Prozent sinken. (Das heißt: Ein Durchschnittsverdiener erhält dann nach 45 Beitragsjahren 43 Prozent des Gehaltes eines aktuellen Durchschnittsverdieners als Rente.) Denn die Gesellschaft altert – immer weniger Beitragszahler müssen für immer mehr Rentner aufkommen. So argumentieren zumindest die einen. Andere, wie der Sozialforscher Christoph Butterwegge, machen die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums für die Misere verantwortlich. Schließlich steige das Bruttosozialprodukt beständig, während die Bevölkerungszahl abnehme.

Einig sind sich die Experten dagegen in einem weiteren Punkt: Die Arbeitswelt hat sich verändert. Viele Menschen sind in ihrem Erwerbsleben zeitweise arbeitslos, arbeiten in Mini-Jobs oder mit niedrigem Einkommen als Selbständige. All dies drückt die Renten nach unten.

Zuschussrente nützt kaum jemandem

Arbeitsministerin von der Leyen will nun mit einer Zuschussrente gegen drohende Altersarmut ankämpfen. Die Idee: Geringverdienenden, die mindestens 30 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, wird die Rente auf bis zu 850 Euro aufgestockt. Ab 2019 erhalten diesen Zuschuss aber nur diejenigen, die zudem mindestens fünf Jahre in eine private Altersvorsorge investiert haben. Nach und nach steigt diese Hürde weiter an: Wer 2049 in Rente geht, muss 35 Jahre privat vorgesorgt haben.

Das Problem: Viele Geringverdiener könnten diesen Zuschuss gar nicht in Anspruch nehmen. In der Millionenstadt Berlin etwa wären nach Annahmen der Bundesregierung im kommenden Jahr gerade einmal 850 Menschen dazu berechtigt. „Wegen der hohen Zugangshürden wird kaum jemand die Zuschussrente bekommen“, kritisiert deshalb Elke Ferner, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag. Auch der DGB kann den Plänen der Ministerin wenig abgewinnen. „Es wäre zynisch, wenn die Koalition das Rentenniveau weiter senkt und dann Krücken wie die Zuschussrente anbietet, die für die Meisten keine Hilfe gegen Altersarmut ist“, protestiert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. 

Eine Alternative: Beiträge anheben

Doch welche Alternativen gibt es zur Zuschussrente? Der DGB fordert, das heutige Rentenniveau einfach beizubehalten. Dazu müsste der Beitragssatz lediglich um 0,1 Prozentpunkte pro Jahr angehoben werden, argumentiert Buntenbach. Die Regierung dagegen plant sogar, die Beiträge abzusenken.

Auch die SPD will die gesetzliche Rentenversicherung stärken und diskutiert darüber, das jetzige Rentenniveau nicht weiter zu senken. Sie verweist aber auch auf einen anderen Aspekt: Viele Menschen verdienen schlicht nicht genug, um sich für später ausreichend absichern zu können. „In der Auseinandersetzung um faire Löhne, um Tarifverträge, Leih- und Zeitarbeit und den Mindestlohn bezieht Frau von der Leyen keine Stellung“, schimpfte etwa NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Anfang der Woche.

Regierung ohne Konzept

Der Regierung fehlt es offenbar noch an einem Konzept gegen drohende Altersarmut. Von der Leyens Zuschussrenten-Vorschlag hält selbst Unions-Fraktionschef Volker Kauder für „nicht geeignet“. Regierungssprecher Steffen Seibert kommentierte die Debatte lediglich mit den Worten, man müsse eine „systematische Antwort auf das sich abzeichnende Problem“ finden und werde darüber nun „in aller Ruhe reden“. Die Grünen schlagen unterdessen eine steuerfinanzierte Garantierente vor.

Die private Altersvorsorge jedenfalls wird die Lücke allein nicht schließen können, die durch die sinkenden gesetzlichen Renten aufgerissen wird. Nur jeder sechste Geringverdiener-Haushalt hat bisher eine Riester-Rente abgeschlossen, heißt es hierzu aus dem Berliner SPD-Landesverband.

Berliner SPD-Vorstand legt Sieben-Punkte-Plan vor

Die Berliner SPD hat in der vergangenen Woche zu einer Fachkonferenz zur Rentenpolitik eingeladen und dabei einen Leitantrag vorgestellt, der auf dem Landesparteitag Ende Oktober beschlossen werden soll. Er enthält ein Sieben-Punkte-Programm, um das Rentensystem wieder auf Vordermann zu bringen. Demnach soll unter anderem der Niedriglohnsektor zurückgedrängt werden, zum Beispiel durch einen einheitlichen Mindestlohn und die Begrenzung von Leiharbeit und Minijobs. Zweitens will die Berliner SPD mehr Menschen als bisher in die gesetzliche Rentenversicherung einbinden – insbesondere Selbständige, die bisher nicht ausreichend vorsorgen können. Drittens soll die Berechnung der Rente den heutigen Erwerbsbiografien angepasst werden, etwa indem die Zeiten in Ausbildung, ehrenamtlicher Pflegearbeit oder teils sogar Arbeitslosigkeit auf die Rente angerechnet werden.

Das Rentenniveau will die Berliner SPD auf dem heutigen Niveau stabilisieren. Statt die Rentenbeiträge zu senken, wie es die Bundesregierung plant, soll mit dem derzeit überschüssigen Geld in der Rentenkasse eine Rücklage für später gebildet werden. Ab 2014 sollen die Beiträge dann in kleinen Schritten angehoben werden, von derzeit 19,6 auf 22 Prozent. Weitere Maßnahmen: Die Betriebsrente soll gestärkt und die Rente mit 67 ausgesetzt werden. Außerdem soll es älteren Arbeitnehmern leichter gemacht werden, schon ab 60 eine Teilrente zu beziehen und diese mit einem Teilzeitjob aufzustocken.

„In der Höhe der Rente spiegelt sich letztlich immer wider, welchen Wert wir der Arbeit zumessen, die Menschen ihr Leben lang geleistet haben“, heißt es in dem Antrag. Die gesetzliche Rentenversicherung dürfe sich also nicht darauf beschränken, nur Armut im Alter zu vermeiden. Sie müsse den Lebensstandard sichern können, den sich die Menschen im Berufsleben aufgebaut haben.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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