In den USA scheinen Demokraten und Republikaner im Streit über eine neue Schuldengrenze einzulenken. „Zu einer Zahlungsunfähigkeit der USA wird es nicht kommen“, sagt auch der Ökonom Henrik Enderlein. Eine Einigung könne aber noch einige Zeit dauern.
vorwärts.de: In der kommenden Nacht erreichen die USA ihre Schuldenobergrenze. Ihnen droht wegen des politischen Streits zwischen Demokraten und Republikanern die Zahlungsunfähigkeit. Hätten Sie damit gerechnet, dass es so weit kommt?
Henrik Enderlein: Was wir gerade erleben, überrascht mich nicht. Es war früh klar, dass es zu einem echten Showdown kommen würde. Die Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten sind mittlerweile einfach zu groß. Es ist bei den beiden wie im Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Da rasen zwei verzogene Teenager mit zwei Autos auf eine Klippe zu und wer zuerst aus den Wagen springt, ist der Feigling. Ökonomen sprechen in einer Situation wie jetzt in den USA deshalb auch vom so genannten Feiglingsspiel. Für die Republikaner wie für die Demokraten ist der Anreiz groß, möglichst lange sitzen zu bleiben und im besten Fall gleichzeitig aus den Autos zu springen, kurz bevor sie über die Klippe rasen. Beide warten den Zeitpunkt ab, in dem sie ohne Gesichtsverlust einem Kompromiss zustimmen können. Für Präsident Obama und Republikaner-Sprecher John Boehner wird die Kunst sein, diesen Augenblick zu finden.
Sie gehen also davon aus, dass es in letzter Minute noch zu einer Einigung kommt?
Weder die Republikaner noch die Demokraten haben ein Interesse daran, dass die Autos samt Insassen im Ozean landen. Ich bin deshalb sehr zuversichtlich, dass es irgendwann doch noch zu einer Einigung kommt. Das muss allerdings nicht fünf Minuten vor zwölf passieren, sondern kann auch etwas länger dauern.
Das bedeutet: keine Einigung in der kommenden Nacht?
Es muss nicht zwingend dazu kommen. Im Film wissen die Teenager, wo die Klippe ist, auf die sie zurasen. Das ist bei der Frage nach dem Zeitpunkt der amerikanischen Zahlungsunfähigkeit anders. Die USA verfügen über ausreichend Liquidität, um heute Nacht nicht in einem Staatsbankrott zu landen. Es wird sicher Möglichkeiten geben, diesen noch um ein paar Tage oder sogar um einige Wochen hinauszuzögern, also Zeit zu gewinnen. Es ist Teil der Verhandlungstaktik zwischen Republikanern und Demokraten, diesen Zeitpunkt nicht bekannt zu geben. Von außen wirkt das Verhalten der Politiker höchst irrational und vielleicht sogar verrückt. Auf der anderen Seite ist es höchst rational, einen Kompromiss erst im allerletzten Moment zu akzeptieren.
Was würde die Zahlungsunfähigkeit für die USA bedeuten?
Zu einer Zahlungsunfähigkeit der USA wird es nicht kommen. Davon bin ich fest überzeugt und sicher, dass es innerhalb der nächsten Tage eine Lösung geben wird. Für den hypothetischen Fall eines Staatsbankrotts der USA wäre das Ausmaß unkalkulierbar. Die Lehman-Pleite vor fünf Jahren wäre ein kleiner Windhauch gegen den Sturm, der dann losbrechen würde. So gut wie alle Sicherheiten des Weltfinanzsystems beruhen auf US-Staatsanleihen. Ab dem Moment, ab dem die USA technisch zahlungsunfähig wären, wären all diese Anleihen Ramschpapiere. Das internationale Finanzsystem wäre von einer Sekunde auf die andere nicht mehr lebensfähig.
Wann bräche der Sturm los?
Ein entscheidender Faktor ist das Verhalten der internationalen Finanzmärkte. Im Augeblick glauben sie mit einer Wahrscheinlichkeit von weit mehr als 90 Prozent daran, dass die USA nicht in den Staatsbankrott gehen. Es kann aber einen Moment geben, in dem die Stimmung kippt und die Finanzmärkte glauben, jetzt stürzen alle über die Klippe. Dann könnte innerhalb von Minuten eine Kettenreaktion einsetzen, die kaum aufzuhalten wäre.
Die Agentur Fitch hat den USA bereits mit dem Verlust den Spitzenrankings gedroht. Ist dieser Warnschuss verstanden worden?
Das Verhalten von Fitch ist ziemlich absurd. Wenn sie glauben, die USA könnten tatsächlich in die Pleite rutschen, sollten sie nicht mit einer geringfügigen Herabstufung der Bonität drohen, sondern zu drastischeren Maßnahmen greifen. Das wird Fitch aber nicht tun, weil es eine Massenpanik auslösen würde. Wir brauchen ganz sicher keine Ratingagenturen, um uns ein Bild davon zu machen, ob die USA Pleite gehen oder nicht.
Wer wird am Ende politisches Kapital aus dem Streit ziehen?
Barack Obama tut gut daran, den Amerikanern die zunehmende Polarisierung des Repräsentantenhauses und des gesamten politischen Systems der USA vor Augen zu führen. Für ihn ist es extrem schwer, einen Kompromiss zu finden, wenn man so stark polarisierten Kräften gegenüber steht. Am Ende wird er aus dem Konflikt als Gewinner hervorgehen, weil ihm die Menschen hoch anrechnen werden, dass er klare Kante gezeigt hat und es ihm gelungen ist, seine Gesundheitsreform „Obamacare“ vor den Angriffen der Republikaner zu schützen. Und wenn es den republikanischen Spitzenkräften rund um John Boehner nicht gelingt, die radikalisierten Kräfte innerhalb ihrer Partei wieder einzufangen, wird sich die Partei ins Abseits manövrieren. Und das weiß sie auch.
Prof. Dr. Henrik Enderlein lehrt angewandte Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftspolitik und Politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.