Wie „Hate Speech“ im Internet die Pressefreiheit gefährdet
Was war die Freude groß, als vor einigen Jahren das Web 2.0 aufkam: Mit den ersten Sozialen Medien verbanden viele die Hoffnung auf eine neue Diskussionskultur. Sie nahmen an, die Menschen würden sich online näher kommen, auf Augenhöhe diskutieren und Argumente austauschen.
Es kam jedoch ganz anders: Bei Facebook, Twitter und Co. herrscht heute der Ausnahmezustand. Beleidigungen, Morddrohungen oder Volksverhetzung sind Alltag in den Kommentarspalten im Netz.
„Der Hass hat ganz reale Konsequenzen“
Besonders oft sind Medienschaffende von den Anfeindungen im Internet betroffen. In einer neuen Studie des Bielefelder Konfliktforschers Andreas Zick geben zwei Drittel der befragten Journalisten an, dass „hasserfüllte Angriffe des Publikums in den vergangenen 12 Monaten deutlich gestiegen sind“. Nicht nur online – vor allem bei Demonstrationen wie dem rassistischen Pegida-Bündnis in Dresden sind Journalisten immer wieder Gefahren ausgesetzt. Anna-Mareike Krause, Social-Media-Redakteurin bei der „Tagesschau“, sagt: „Der Hass hat ganz reale Konsequenzen.“ So seien einige ihrer Kollegen bei AfD-Veranstaltungen nur noch mit Personenschutz unterwegs – aus Angst vor Angriffen. Andreas Zick kann das verstehen: „Das höchste Risiko tragen Außenreporter“, sagt er.
In seiner Studie, die er im Auftrag des „Mediendienstes Integration“ durchgeführt hat, hat Zick die Folgen für die Betroffenen untersucht: Kaum ein Journalist, der im Netz bedroht wird, könne dies so einfach verkraften. „Alle nehmen es mit nach Hause“, sagt Zick. Ein Drittel der Betroffenen leide besonders stark unter dem Druck und sei „pychisch ernsthaft belastet“. Nicht selten führe dies dazu, dass diese Menschen ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Ihnen sollten die Redaktionen Beratungsgespräche anbieten und seelische Hilfe leisten, fordert Zick.
Kein Zufall: ZDF-Reporterin Dunja Hayali als Hassobjekt
Es seien ganz bestimmte Themen, die den Hass auf sich ziehen, sagt der Konfliktforscher. „Flüchtlinge“ seien das Reizthema überhaupt. „Wenn da irgendwas kommt, dann geht’s los.“ Aber auch kritische Berichterstattung über Pegida oder die AfD ziehe sofort hasserfüllte Botschaften nach sich. Eine ganze Bandbreite an politischen Themen sei heute „kampagnenfähig für Hate Speech“.
Dabei komme es oft darauf an, wer über diese Themen berichtet, gibt Anna-Mareike Krause zu bedenken. Es sei kein Zufall, dass die ZDF-Journalistin Dunja Hayali besonders im Fokus der rechten Hetzer steht: Sie ist eine homosexuelle Frau, mit familiären Wurzeln im Ausland, die kritisch über Pegida berichtet. „Das hat den Hass sicher befeuert“, sagt Krause. Zick stimmt dem zu: „Frauen werden häufiger angegriffen und intensiver.“
Konsequenzen für die Pressefreiheit
Dana Buchzik vom Verein „Neue Deutsche Medienmacher“ warnt vor den Konsequenzen für die Pressefreiheit, die der Online-Hass hat. Ihr Team beobachte immer wieder, dass sich Journalisten aus Angst vor „Hatespeech“ selbst eine Zensur auferlegten. Umso wichtiger sei es, dass Thema ernst zu nehmen. „Das sind nicht nur so ein paar Trottel“, sagt sie über die „Hater“ im Netz. Auch Krause denkt, hinter den Hasskommentaren stecke mehr als nur das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit einzelner User. Sie sieht die Kommentarspalten der großen Nachrichtenseiten als „Austragungsort für Informationskriege“. Nicht „Trolle“ seien am Werk, sondern „Glaubenskrieger“, die im Internet einen „gesellschaftlichen Kampf austragen“ wollten. Vor allem seit dem Machtwechsel in der Ukraine 2014 oder dem Beginn der Pegida-Demos im selben Jahr verabrede sich der Mob verstärkt im Netz.
Wie mit den Urhebern der unzähligen Hassbotschaften umzugehen ist, darauf scheint es jedoch keine einfachen Antworten zu geben. Löschen, sachlich diskutieren, die Kommentare mit Humor nehmen? Es gibt viele Arten, auf den Online-Hass zu reagieren. In jedem Fall müsse jedoch eins im Blick behalten werden, sagt Krause: Die „Hater“ im Netz seien bei weitem nicht die Mehrheit. Allerdings muss auch die Social-Media-Redakteurin eingestehen: „Wir haben einen Teil der Community verloren.“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.