Inland

Wie eine Internetseite bedrohten Kommunalpolitiker*innen helfen soll

Mehr als die Hälfte der Bürgermeister*innen in Deutschland wurde schon bedroht, beleidigt oder angegriffen. Mit dem Online-Portal „Stark im Amt“ bekommen sie nun eine Anlaufstelle, bei der sie Hilfe finden.
von Carl-Friedrich Höck · 29. April 2021
„Wir müssen verlorene Zivilität zurückerobern.“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Donnerstag das Internet-Portal „Stark im Amt“ gestartet.
„Wir müssen verlorene Zivilität zurückerobern.“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Donnerstag das Internet-Portal „Stark im Amt“ gestartet.

Fast jede*r fünfte Bürgermeister*in hat aus Sorge um die eigene Sicherheit oder die der Familie schon über einen Rückzug aus der Kommunalpolitik nachgedacht. Das hat eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung ergeben. Daran nahmen 1.651 Bürgermeister*innen teil. Weitere Ergebnisse: 57 Prozent der Bürgermeister*innen wurden bereits beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen. Das hat auch Folgen für die politische Debatte: 30 Prozent der Befragten haben angegeben, sich seltener zu bestimmten Themen zu äußern als früher.

Tipps und Kontakte für Betroffene von Anfeindungen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt angesichts der Ergebnisse davor, dass demokratische Prozesse und Debatten in Schieflage geraten könnten. Am Donnerstag hat er als Schirmherr ein Online-Portal freigeschaltet, das Betroffenen Hilfe vermitteln soll. Die Website stark-im-amt.de richtet sich an Bürgermeister*innen, Landrät*innen und Ratsmitglieder. Sie finden dort Informationen, wie sie Übergriffen vorbeugen und auf Angriffe reagieren können. Das Portal soll zudem eine Lotsenfunktion wahrnehmen. Es listet zahlreiche Kontakte auf, an die bedrohte Politiker*innen sich wenden können.

„Stark im Amt“ sei mehr als eine Website, sagt Steinmeier. „Es ist der Beweis, dass wir nicht hilflos sind, wenn es um den Schutz unserer Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker geht.“ Für Betroffene sei es wichtig zu wissen, dass sie nicht alleine sind. Die kommunale Ebene sei durch ihre Bürgernähe besonders exponiert.

Gesellschaftliche Grundstimmung wandelt sich

„Wir müssen verlorene Zivilität zurückerobern“, fordert Steinmeier. 81 Prozent der Bürgermeister*innen sind laut Forsa-Umfrage der Meinung, dass die Gesellschaft zunehmend verrohe und der Umgang rücksichtsloser werde. Das sieht auch der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Ralph Spiegler, so: Das Jahr 2015 stelle eine Wegmarke da – damals diskutierte das Land kontrovers über die Zuwanderung von Geflüchteten. Verrohte Sprache habe zwar vorher schon Einzug gehalten, das sei dann aber kumuliert. „Soziale Netzwerke spielen dabei sicherlich eine große Rolle“. Die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden – auch körperliche – sei deutlich gestiegen.

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, bestätigt das: 2015 habe ein Tabubruch begonnen, der auch für ihn erlebbar gewesen sei. Der Oberbürgermeister von Leipzig erinnert sich deutlich an einen Container, auf den ein Galgen und der Spruch „Jung verrecke“ aufgemalt war. Da habe er gewusst: „Jetzt geht es ums Ganze“, erzählt er. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, fordert deshalb „mehr Respekt und Würde für alle Amtsträger“. Es würde die Demokratie stärker machen, wenn mehr Frauen und Männer sich mit ihrer Lebens- und Berufserfahrung in Wählergemeinschaften und demokratische Parteien hineinbegäben.

Nach Drohungen gegen SPD-Politiker*innen hatte Generalsekretär Lars Klingbeil bereits im vergangenen Jahr einen Runden Tisch initiiert. Anfang dieses Jahres fand ein weiteres Treffen statt. Zudem gibt es eine Hotline im Willy-Brandt-Haus, an die sich Betroffene wenden können.

Kommunale sollen sich Drohungen nicht gefallen lassen

Das Projekt „Stark im Amt“ wurde von der Körber-Stiftung initiiert, in Kooperation mit den kommunalen Spitzenverbänden. In die Entstehung waren weitere Verbände, zivilgesellschaftliche Organisationen und staatliche Stellen eingebunden.

Dazu gehört etwa die Organisation „Hate Aid“. Deren Mitgründerin Anna-Lena Hodenberg sieht Kommunalpolitiker*innen in einer besonderen Lage: „Man ist im Privaten schneller angreifbar.“ Adressen seien bei Bundespolitiker*innen schwerer herauszufinden als beim Politiker, der um die Ecke wohnt. Und sie hätten in der Regel keine Mitarbeiter*innen, die Mails vorsortieren oder Bedrohungen zur Anzeige bringen. Also müssten sie oft noch ihren Feierabend mit dem Sichern von Beweisen verbringen.

Viele Kommunalpolitiker*innen seien unglaublich resilient, hat Hodenberg beobachtet. „Sie glauben, das gehört zu ihrem Job dazu.“ Deshalb suchten sich viele Betroffene viel zu spät Hilfe. Das neue Online-Portal soll das ändern. Die Expertin von Hate Aid appelliert an die politisch Aktiven: „Ihr müsst euch das nicht gefallen lassen! Es gibt Informationen und Hilfe, und die müsst ihr euch jetzt auch suchen!“

Der Text erschien zuerst auf demo-online.de.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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