Wie die SPD Klimaschutz und Wirtschaftskraft miteinander verbinden will
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Am Nachmittag des 15. April ging auf der Oberbaumbrücke gar nichts mehr. Das historische Bauwerk verbindet die Berliner Ortsteile Kreuzberg und Friedrichshain miteinander. Normalerweise reiht sich dort zu dieser Tageszeit Auto an Auto. Doch an diesem Montag war die Fahrbahn besetzt. Rund 300 Demonstranten blockierten die Brücke mit einem Sitzstreik. Aufgerufen hatte die Bewegung „Extinction Rebellion“ (zu deutsch etwa „Aufstand gegen das Aussterben“), die mit Aktionen des zivilen Ungehorsams die Politik zu einem konsequenteren Handeln gegen den Klimawandel zwingen will. Sie knüpft damit an die „Fridays for Future“-Demonstrationen an, in deren Rahmen Schülerinnen und Schüler weltweit freitags statt in die Schule auf die Straße gehen, um für mehr Klimaschutz zu streiken.
Nahles: Wir machen mehr Tempo beim Klimaschutz
„Das wirtschaftliche Handeln darf nicht weiterhin planetare Grenzen überschreiten“, sagen die Vertreter der deutschen „Fridays for Future“-Gruppe. Anfang April haben sie ihre Forderungen an die Politik vorgestellt – im Berliner Naturkundemuseum, die Skelette mächtiger Dinosaurier im Rücken. Um die Erwärmung der Erde auf höchstens 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, solle noch in diesem Jahr ein Viertel aller deutschen Kohlekraftwerke abgeschaltet und eine CO2-Steuer eingeführt werden. Bis 2035 solle Deutschland rechnerisch kein CO2 mehr ausstoßen. Allerdings sagen die Aktivisten auch: „Die Verwirklichung dieser Forderungen muss sozial verträglich gestaltet werden und darf keinesfalls einseitig zu Lasten von Menschen mit geringem Einkommen gehen.“
Auch wenn sie nicht alle Ziele teilt, stoßen die Schülerinnen und Schüler bei Andrea Nahles auf offene Ohren. „Wir werden euch keine Welt übergeben, die vor dem Kollaps steht“, verspricht Nahles und: „Ja, wir werden mehr Tempo machen.“ Bereits bevor die „Fridays for Future“-Demonstrationen in Deutschland Fahrt aufnahmen, hatte die SPD-Vorsitzende eine Arbeitsgruppe eingerichtet, der neben ihr selbst Bundesumweltministerin Svenja Schulze, Bundessozialminister Hubertus Heil, Bundesfinanzminister Olaf Scholz sowie Vertreter von Gewerkschaften und Umweltverbänden angehören. Bis zur Sommerpause will sie ein Konzept für eine nachhaltige Wirtschaft vorlegen, das Klimaschutz und Wertschöpfung in Deutschland miteinander verbindet.
Ökologischer Umbau der Wirtschaft als „Riesenchance“
„Deutschland ist das einzige Land, das sowohl aus der Atomkraft als auch aus Braun- und Steinkohle aussteigt“, betont Nahles. Dieser ökologische Umbau der Wirtschaft sei „eine Riesenchance“. Die deutschen Unternehmen müssten „wieder Innovationstreiber bei klimafreundlicher Technologie und nachhaltigem Wirtschaften“ werden. Das sei auch und gerade im Interesse der Beschäftigten, die in CO2-intensiven Branchen arbeiteten, da es ihnen Planungssicherheit gebe.
„Wir sind die einzige Partei, die Umwelt und Soziales gleichzeitig in den Blick nimmt und Wege aufzeigt, wie Klimaschutz und Arbeitsplätze zusammengehen“, betont auch Umweltministerin Svenja Schulze. Die Armen dürften weder die Leidtragenden des Klima- noch des Strukturwandels sein. „Der Blick nach Frankreich zeigt, dass die Energiewende nur gelingt, wenn weder Wirtschaft noch Verbraucherinnen und Verbraucher überfordert werden“, weiß Andrea Nahles. Mensch und Umwelt müssten gemeinsam im Mittelpunkt der künftigen Entscheidungen stehen. „Alle Maßnahmen, die wir ergreifen, müssen gewährleisten, dass der Wert der Arbeit gesichert wird, dass das Leben der Menschen bezahlbar bleibt und dass mehr und nicht weniger Beschäftigung das Ergebnis ist.“
„Erneuerbare Energien sind ein Zukunftsmarkt“, sagt Umweltwissenschaftler Sebastian Helgenberger vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Aus seiner Sicht würde ein Klimaschutzgesetz wie von Svenja Schulze geplant „eine gute Grundlage für eine zukunftsfähige deutsche Industriepolitik schaffen“, schreibt Helgenberger in einem Gastbeitrag für zeit-online. Mit ihrem Konzept für eine nachhaltige Wirtschaft will die SPD darauf aufbauen. „Wir brauchen jetzt klare Entscheidungen für die nächsten Jahrzehnte“, sagt Andrea Nahles. „2019 machen wir zum Klimajahr der Entscheidung.“
Dirk Bleicker
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.