Inland

Wie die SPD ihre Wahlniederlage für den Neuanfang nutzen kann

Die vierte Regierung Merkel wird ihre instabilste und letzte sein. Die CDU-Chefin läuft Gefahr, zwischen CSU, FDP und Grünen zerrieben zu werden. Das ist die Chance der SPD für ein politisches Comeback – wenn sie eine klare Alternative zur Regierung entwickelt.
von Henning Meyer · 29. September 2017
Wahlabend im Willy-Brandt-Haus
Wahlabend im Willy-Brandt-Haus

Man braucht nicht lange drumherum zu reden: Das Wahlergebnis vom 24. September war ein schwerer Schlag. Und obwohl Angela Merkel trotz des auch für sie miserablen Wahlergebnisses sehr gelöst wirkte, hat die SPD schnell die richtigen Konsequenzen gezogen und den Gang in die Opposition angekündigt. Der Abend wurde durch das Ergebnis der AfD noch deprimierender. Die deutsche Politik steht nun vor neuen Zeiten.

Die Krise als Chance nutzen

Man hört oft den Spruch, dass man „eine Krise nie verschwenden sollte“. In der Regel wird diese Weisheit beim Versuch bemüht, tiefsitzende Verzweiflung mit ein paar motivierenden Worten zu übertünchen. Nachdem der erste Schock über das Ergebnis aber überwunden war und ich mir die neue politische Dynamik in Deutschland etwas genauer angeschaut hatte, wurde meine Laune besser. Das schlechte Wahlergebnis ist sicherlich eine tiefe Krise aber es bietet sich nun für die SPD auch eine klare Chance, die Scherben schnell aufzukehren und ein politisches Comeback zu starten. Wie kann das funktionieren?

Wie ich am Wahlabend für den CNN Liveblog kommentiert habe, wird die vierte Regierung Merkel die instabilste und ihre letzte sein. Der Anfang vom Ende hat begonnen. Mit einer Jamaika-Koalition oder mit irgendeiner Form von Minderheitsregierung betreten wir auf Bundesebene politisches Neuland. Nach dem unerwartet starken AfD-Ergebnis in Bayern hat der CSU Vorsitzende Horst Seehofer umgehend angekündigt „die rechte Flanke“ schließen zu wollen. Man will sich offensichtlich wieder auf Franz Josef Strauß besinnen, der einst forderte, dass rechts neben der CSU kein Platz für eine demokratisch legitimierte Partei sein dürfe.

Starke Gegensätze innerhalb von „Jamaika“

Die Spaltung der AfD und die Ankündigung von Frauke Petry, eine Art bundesweite CSU gründen zu wollen, wird diesen Wettbewerb um den rechten Raum sicher weiter verschärfen. Vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen in Bayern im kommenden Jahr dürfte also klar sein, dass Horst Seehofer die neue Regierung scharf nach rechts ziehen will.

Das steht im direkten Gegensatz zu den möglichen Partnern in der Jamaika-Koalition, der FDP und den Grünen, die sich beide sehr stark in der Mitte oder sogar im Mitte-Links Bereich des politischen Spektrums verorten. Eine durch das schlechte Wahlergebnis persönlich geschwächte Kanzlerin läuft also Gefahr, im hin und her gegensätzlicher politischer Strömungen zerrieben zu werden. Angela Merkel weiß das sehr genau, was erklärt, warum sie offensichtlich keine Eile hat, eine neue Koalition zu schmieden. Die aktuelle Regierung, die kommissarisch im Amt bleibt bis eine neue formiert wird, ist deutlich angenehmer für sie als das, was danach kommen wird.

SPD muss programmatische Alternative entwickeln

Die SPD hingegen wird in der politischen Opposition zu dieser widersprüchlichen und wohl eher schwachen neuen Regierung die Möglichkeit haben, sich neu zu formieren und eine klare alternative Politik für Deutschland zu entwicklen. Mit einer erkennbaren programmatischen Alternative kann man selbstbewusst in die politische Auseinandersetzung nach Merkel gehen - in 2021 oder früher. Es wird wieder eine klarere Unterscheidung zwischen den Volksparteien geben und der von Jürgen Habermas geforderte breitere demokratische Pluralismus wird an Gestalt gewinnen. Das tut unserer Demokratie gut.

Für die SPD werden die politischen Räume auch größer werden. Horst Seehofer wird die Union nach rechts ziehen und die beiden anderen Parteien der Mitte sind voraussichtlich in der Regierung gebunden. Die AfD hat sich schneller zerstritten als selbst ich es für möglich gehalten hatte. Und Die Linke, die in der vergangenen Legislaturperiode als größte Oppositionspartei schon nicht in der Lage war, eine schlagkräftige Oppositionsarbeit zu leisten, wird es im kommenden Bundestag als kleinste Oppositionspartei hinter der SPD und der AfD noch deutlich schwieriger haben.

Opposition in der Endzeit Merkels

Die deutsche Politik steht vor einer neuen Situation und die SPD muss die Chance zur Erneuerung, in politischer Opposition zur Endzeit der Ära Merkel, nutzen. Das neue Spielfeld der deutschen Politik bietet die Möglichkeit dazu. Die Bundestagswahl 2017 war ein politisches Erdbeben und nicht jede politische Krise bietet Chancen. Die jetzige jedoch schon. Es gilt, sie zu nutzen.

 

Autor*in
Henning Meyer

forscht an der London School of Economics and Political Science (LSE). Er ist Editor-in-Chief von „Social Europe“ und Mitglied der SPD-Grundwertekommission.

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