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Wie die SPD auf die Wähler-Kritik an der GroKo reagieren sollte

Mangelnde Informiertheit und zunehmende Emotionalisierung – losgelöst von Fakten – bestimmen die politische Debatte, warnt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. Die SPD sollte daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Die Beendigung der großen Koalition gehört für Schröder nicht dazu.
von Lars Haferkamp · 28. August 2019
Wie wird die SPD entscheiden? Das letzte Wort über die GroKo-Bilanz werden die Delegierten auf dem SPD-Bundesparteitag vom 6. bis 8. Dezember in Berlin haben.
Wie wird die SPD entscheiden? Das letzte Wort über die GroKo-Bilanz werden die Delegierten auf dem SPD-Bundesparteitag vom 6. bis 8. Dezember in Berlin haben.

Herr Professor Schroeder*, die „Halbzeitbilanz der Großen Koalition zur Umsetzung des Koalitionsvertrages 2018“ der Bertelsmann-Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin nennt die Umsetzung der Vorhaben durch die Regierung „rekordverdächtig“. Mehr als 80 Prozent der dort Befragten erklären jedoch, kaum oder maximal die Hälfte der Projekte seien umgesetzt. Wie erklären Sie diese große Diskrepanz?

Die Bürger haben offensichtlich andere Maßstäbe als die Politiker. Für viele Bürger stehen derzeit andere Herausforderungen und andere Lösungsansätze  im Mittelpunkt. Das gilt etwa für die große Klima-Herausforderung, die Verkehrswende, die Energiewende, die soziale Ungleichheit. Die kleinen Schritte, die im Rahmen der Regierungsarbeit getan werden, erscheinen nicht als angemessene Antwort auf diese großen Herausforderungen. Ein weiterer Grund für die negative Wahrnehmung vieler ist das fehlende Vertrauen in die Politik. Auch gibt es die Erwartung, alles müsse direkt und schnell passieren. Da gibt es oft wenig Einsicht in die tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten von Regierungen.

Wenn die Wähler die Leistungen der Politiker nicht mehr oder nur teilweise zur Kenntnis nehmen, ist das eine Gefahr für die Demokratie?

Wir stellen ein sehr schwaches Vertrauen in Politiker fest, in Parteien und in den Bundestag. Viele Bürger verstehen und akzeptieren Politik heute nicht mehr als Kunst des Möglichen. Das zu vermitteln, gelingt den Politikern immer weniger.

Das schwache Vertrauen der Bürger zeigt sich auch darin, dass der politische Kompromiss als Kernelement der Demokratie inzwischen von vielen Bürgern abgelehnt wird, so die Studie. Vielen gilt der Kompromiss als „faul“, als Ausdruck von „Geschacher“. Welche Folgen hat das?

Wir beobachten eine Politisierung der Gesellschaft. Aber das bedeutet nicht, dass daraus ein verstärktes Verständnis für das Alltagsgeschäft der Politik resultiert. Dieser Spannungsbogen – auf der einen Seite Politisierung, auf der anderen Seite eine wachsende Ignoranz gegenüber den Möglichkeiten der Politik und dem Zwang zum Kompromiss – ist Ausdruck eines Vertrauensverlustes in das politische System.

Es fehlt also bei vielen Bürgern an der für eine Demokratie unerlässlichen politischen Bildung?

Vermutlich ist neben der Präferenz für andere Ergebnisse auch das Problem mangelnder Informiertheit ernst zu nehmen. Seit 1990 hat sich die Zahl der täglichen Tageszeitungsauflage von 30 auf 15 Millionen halbiert. Wenn aber weniger Bürger ein Gefühl für politische Prozesse, Kompromisse und ihre Langsamkeit haben, ist es auch nachvollziehbar, dass weniger Verständnis dafür besteht, was in der Politik möglich ist und was nicht. So gibt es eine starke Basis für teilweise unrealistische Erwartungen, womit Enttäuschungen vorprogrammiert sind. Deshalb spielen Emotionen – oft losgelöst von den Fakten – eine wichtigere Rolle. Populisten spielen erfolgreich auf dieser Klaviatur.

Franz Müntefering hat es 2008 als „unfair“ bezeichnet, dass Koalitionsparteien daran gemessen würden, ob sie in einem Regierungsbündnis auch 100 Prozent ihrer Vorstellungen durchsetzen könnten. Hat Müntefering hier recht?

Dass Politiker empfinden,  alles in ihren Möglichkeiten stehende getan zu haben, ist das eine. Die Wahrnehmung der Bürger ist das andere. Politik ist Kommunikation. Die Politik muss sich fragen, wie sie ihre Positionen anders und nachhaltiger vermitteln kann.

Was genau sollten Politiker in der Kommunikation mit den Bürgern denn anders machen?

Die Parteien sollten die großen Linien stärker kommunizieren. Sie müssen die Einzelmaßnahmen in eine Gesamterzählung einbetten. Das heißt aktuell etwa: Die Vermögenssteuerpläne sind ein kleines Instrument in einem insgesamt besser aufzustellenden Steuersystem, um staatliche Handlungsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit herzustellen.

Für die Kommunikation mit dem Wähler brauchen die Parteien die Medien. Die scheinen aber zunehmend weniger interessiert an Informationen über oft komplexe Sachverhalte. Stattdessen wird Politik immer mehr reduziert, Personalisierung und Skandalisierung spielen eine große Rolle. Was bedeutet das?

Wenn Personalien und Skandale das Maß der Dinge sind, dann können die Bürger nicht nachvollziehen, wie ein kleiner Schritt mit einem großen Ziel zusammenhängt. Wir erleben eine Segmentierung der Öffentlichkeit. Es gibt Kanäle, die differenziertes Wissen vermitteln. Aber die große Mehrheit der Kommunikation bewegt sich eher im Bereich Personalisierung, Emotionalisierung und Skandalisierung. Die Parteien müssen dem ein Stück Rechnung tragen, indem sie versuchen, Personen zu platzieren, die sowohl das große Narrativ, die emotionale Ansprache beherrschen, als auch die hintergründige faktenbasierte Information. Das ist zugegeben nicht einfach.

Die faktenbasierte Zwischenbilanz der großen Koalition haben nun Wissenschaftler vorgelegt. Wäre es vielleicht Aufgabe der Parteien gewesen, das selbst zu unternehmen?

Durch externe Akteure wird ein Blick möglich, der sowohl für die Politik wie auch für die Öffentlichkeit neue Perspektiven eröffnen kann. Zugleich sind die Parteien im eigenen Interesse gut beraten, ihre Erfolge selbstbewusst zu vermitteln. Durch eigene Bilanzen können sie den Bürger selbst auch mit der Diskrepanz zwischen dem kleinen Fortschritt und dem großen Ziel konfrontieren, um zu zeigen, was machbar ist und was noch gemacht werden muss.

Wie bewerten Sie die Reaktionen, die es bisher aus der Politik und besonders aus der SPD auf die vorgelegte Zwischenbilanz gegeben hat?

Die Resonanz ist weitgehend positiv. Durch die faktenbasierte Bilanz ist erkennbar, dass Politik im Großen und Ganzen einhält, was sie verspricht. Durch den Eintritt der SPD in diese Koalition sind durchaus Fortschritt für das Leben der Bürger erreicht worden. Gleichzeitig muss sich die Politik mit der Diskrepanz zwischen dem Geleisteten und dem Wahrgenommenen auseinandersetzen.

Würden Sie der SPD vor dem Hintergrund dieser Bilanz eine Empfehlung geben hinsichtlich der Fortführung der großen Koalition?

Es mag viele Gründe geben, die GroKo zu verlassen. Aber diese Halbzeitbilanz bietet nicht die Basis, um ihr Ende zu begründen. Einer der wichtigsten Werte, der die SPD auszeichnet, ist ihre Verlässlichkeit. Zugleich gilt: Die SPD muss ihr Profil schärfen. Das ist in einer großen Koalition mitunter schwierig. Deshalb hat die Partei immer wieder betont, was sie über das Regierungshandeln hinaus fordert, also SPD pur dargestellt. Würde man jetzt die große Koalition frühzeitig beenden, würde das der SPD bei den dann fälligen Neuwahlen nur ein massiv schlechtes Wahlergebnis bescheren. Für die eigene Profilbildung sähe ich da gegenwärtig eher Nachteile.

* Der Politologe Wolfgang Schroeder forscht in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB). Er ist Professor an der Universität Kassel und leitet dort das Fachgebiet „Politisches System der BRD-Staatlichkeit im Wandel“. Von 2009 bis 2014 war er Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg.

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