Wie der Katastrophenschutz in Deutschland reformiert werden sollte
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In Ihrem Wahlkreis waren Kommunen wie Swisttal, Rheinbach oder Alfter massiv von der Flutkatastrophe betroffen. Wie stellt sich die Lage aktuell dar?
Gerade Rheinbach und Swisttal im Rhein-Sieg-Kreis wurden von den Unwettern und dem Starkregen massiv getroffen. Infrastruktur wurde zerstört, Landesstraßen, Brücken. Kommunikationswege zu Verwaltungen sind ausgefallen, weil es Stromausfälle wegen der Überschwemmungen gegeben hat. Es hat Tage gedauert, den Strom wieder zu aktivieren und es ist noch gar nicht alles wiederhergestellt. Es ist erschütternd, wie viele Häuser verwüstet sind und wie viele Menschen ihr Hab und Gut verloren haben. Mitmenschen sind verstorben oder werden noch vermisst. Das sind schlimmste Bilder. Auf der anderen Seite ist die Solidarität der Menschen überwältigend. Nachbarn unterstützen sich gegenseitig. Man sieht eine enorme Hilfsbereitschaft.
In der Region, aber auch deutschlandweit ist eine große Solidarität spürbar. Wo ist aktuell noch Hilfe notwendig? Wie kann den Menschen vor Ort geholfen werden?
Zunächst geht es um akute Hilfe, um die Lage in den Griff zu bekommen. Da geht mein Dank an alle Helferinnen und Helfer, die noch auf der Suche nach Vermissten sind. Auch wenn das Wasser zurückgegangen ist, ist die Lage noch katastrophal. Deshalb müssen wir über ein Jahrzehnt des Wiederaufbaus sprechen: Die grundlegende Infrastruktur liegt in der Region brach, die Bundesstraße ist zerstört, die Autobahn ist unterbrochen, Brücken sind zusammengestürzt, auch Schienenwege sind beschädigt. Dort, wo Häuser zerstört sind, brauchen wir mittelfristige Unterkunftsmöglichkeiten für die Betroffenen. Mit der akuten Soforthilfe von Bund und Ländern müssen zunächst besondere Notlagen überbrückt und grundlegende Zerstörungen angegangen werden.
Wann und wie haben Sie von der Flutkatastrophe erfahren?
Ich war ja mittendrin, auch wenn mein Heimatortsteil nur bedingt mit Regenfluten und ihren Folgen betroffen war. Aber schon in Nachbarorten sind zahlreiche Keller vollgelaufen und Bäche über die Ufer getreten. Zum anderen gab es im Vorfeld Wetterwarnungen. Deshalb hatte ich am Mittwoch schon auf meiner Facebook-Seite vor diesen starken Hochwassern und Unwettern gewarnt.
Nun ist nach der Katastrophe eine Debatte darüber entbrannt, ob die Menschen in der Region rechtzeitig gewarnt wurden. Wie sehen Sie das?
Das Thema Katastrophenschutz ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten etwas aus dem Blick gerückt. Viele dachten mit dem Ende des Kalten Krieges, dass Vorsorgen in der Form nicht mehr nötig sind. Es wurde in der Vergangenheit definitiv viel zu wenig in Warnwege investiert. So sind teilweise Sirenenanlagen abgebaut worden. Auch das Bewusstsein der Bevölkerung für Katastrophensituationen wurde nicht genug gestärkt: Was ist Eigensicherung? Welche Wege der Information gibt es? Wir haben zum Beispiel die Nina-Warn-App, die aber leider nicht ausreichend verbreitet ist. Es ist also auf der einen Seite der Kommunikationsweg in der Krise selbst, auf der anderen Seite die Bewusstseinsschärfung, dass auch wir in Mitteleuropa durch solche katastrophalen Lagen schwer beeinträchtigt werden können.
Stichwort Informationspolitik: Rund um die Katastrophe kursierten zahlreiche Fake News, zum Beispiel dass die Steinbachtalsperre gebrochen sei. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um dem entgegenzuwirken?
Wir haben schon bei Corona gesehen, wie schnell für übelste Behauptungen Raum geschaffen wird. Deswegen habe ich vor deutlich mehr als einem Jahr das Konzept der Präventionshelferinnen und -helfer vorgeschlagen. Das sind Menschen, die sich ehrenamtlich im Bevölkerungsschutz engagieren. Sie können zum Beispiel in digitalen Medien dafür sorgen, dass Falschbehauptungen sehr schnell widerlegt werden, indem man auf richtige Seiten verlinkt und mit den Menschen in den Dialog tritt. Zum anderen sollte man Bürgerinnen und Bürger unabhängig von sozialen Netzwerken darauf hinweisen, dass es Seiten gibt, über die amtliche Informationen geteilt werden, über Leitstellen oder aber auch über Medien, ob es der „vorwärts“ ist, die örtliche Tageszeitung oder das Lokalradio.
Das Unwetter betraf Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen grenzübergreifend. Hat das Zusammenspiel der beiden Bundesländer aus Ihrer Sicht funktioniert?
Vor Ort kommt es immer auf das Zusammenspiel der lokalen Behörden mit der entsprechenden Bezirks- oder Landesregierung an. Da sind wir noch mitten in der Aufarbeitung. Daher ist es zu früh, um das abschließend zu beurteilen – wenn es auch erste Hinweise auf nicht richtig funktionierende Kommunikationswege gibt, auch wegen des Zusammenbruchs der Stromnetze. Dadurch konnten Einsatzkräfte teilweise nicht rechtzeitig vor Ort sein. Auch sie brauchen schnelle Informationswege, um gezielt helfen zu können. Denn wir dürfen nie vergessen, dass dabei Menschen ihr Leben riskieren, um andere Menschen zu retten. Sie haben einen Anspruch darauf, dass solche Krisenorganisationen optimal laufen. Bei dieser Hochwasser-Katastrophe haben Einsatzkräfte leider auch ihr Leben verloren. Wir trauern um die Menschen, die dabei waren, anderen zu helfen.
In einem Ende März veröffentlichten Positionspapier der SPD-Fraktion wird eine umfassende Reform des Katastrophenschutzes in Deutschland gefordert. Wo genau sehen Sie Defizite?
Im Verteidigungsfall ist der Bund zuständig für den Zivilschutz. Die Länder sind in Friedenszeiten für den Katastrophenschutz zuständig. Diese Trennung ist aus meiner Sicht überkommen. Denn wir haben Lagen, die schnell dazu führen können, dass unser Gemeinwesen schwer unter Druck steht, ob durch Cyberangriffe, das Lahmlegen von Wasserver- und -entsorgung oder eine Pandemie, die das gesamte Bundesgebiet erfasst. Deswegen müssen wir diese Kompetenzen anders und besser zusammenlegen. Dazu gehört, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zu stärken. Wir sollten auch über eine Verfassungsänderung nachdenken, damit der Bund in Zusammenarbeit mit den Ländern auch für Katastrophen zuständig sein kann.
Was hätte das bezogen auf den aktuellen Fall bewirkt?
Es ist eine bessere Form der Ressourcenvorsorge: gemeinsame Depots anlegen und entsprechende Materialien einlagern. Zudem stellt es die Möglichkeit eines gesamtstaatlichen Lagebildes, wo Kompetenzen des Bundes neu zusammengeführt werden, und gemeinsame Stäbe, die man einrichten kann. Der Bund könnte auch ganz grundsätzlich ganz andere Haushaltsmittel oder personelle Ressourcen vorhalten. Das muss nicht jedes Land vollumfänglich.
Aufgrund des Klimawandels drohen künftig in Deutschland weitere Unwetterkatastrophen. Muss der Hochwasserschutz grundlegend verbessert werden und braucht es dafür eine bessere finanzielle Ausstattung?
Man muss der Natur und ihren Gewässern Räume geben. Denn Hochwasser sind nicht ungewöhnlich. Nur die Auswirkungen verändern sich. In bestimmten Regionen gab es einen enormen Bevölkerungszuwachs. In Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis gibt es seit 1990 einen Zuzug von 140.000 neuen Einwohnerinnen und Einwohner. Dadurch sind teilweise Flächen besiedelt worden, die früher nicht in Betracht gekommen sind. Deswegen müssen die Kommunen als Verantwortliche für Flächennutzungspläne vor dem Hintergrund von starken Regenfällen und Hochwassern Flächen anders betrachten.
Schwere Unwetter werden in verschiedenen Formen zunehmen. Wir haben auf der einen Seite Unwetter, Starkregen und Hochwasser, auf der anderen Seite Waldbrandgefahr oder Dürren, die in Verbindung mit großer Hitze sehr schnell eine große Problematik für die Zivilbevölkerung darstellen. Das ist bekannt. Dafür gibt es regelmäßige Übungen und Szenarien, die es aber besser zu verinnerlichen gilt. So könnte man den Menschen in den Risikogebieten kühle Räume zur Verfügung stellen und Wasservorräte anlegen. Um Waldbrandgefahr besser zu begegnen sollten zum Beispiel mehr Löschhubschrauber beschafft werden.
Was macht Ihnen mit Blick auf die betroffenen Regionen Hoffnung?
Als Sozialdemokrat macht es mich unglaublich stolz, wie solidarisch Menschen in einer Krise miteinander umgehen. Dass die Nachbarn mitanpacken, sich unterstützen und Hilfe leisten, ist nicht selbstverständlich. In einer Krise wird nicht der Ellenbogen ausgefahren, sondern der Arm genommen, um sich unterzuhaken. Das hat mich tief beeindruckt und emotional bewegt.
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ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo