Wie behinderte Menschen mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhalten
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Schwerbehinderte Menschen haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt, trotz guter Ausbildung. Woran liegt das?
Viele Unternehmen wissen bislang nicht, welche Unterstützung sie in Anspruch nehmen können. Diese Unkenntnis führt mitunter dazu, dass Arbeitgeber in dieser Frage unbeweglich sind. Andererseits fehlt es teilweise aber auch an Engagement, denn wir haben in den letzten Jahren mit dem Bundesteilhabegesetz und den einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber schon viel gemacht.
Das Gesetz zum inklusiven Arbeitsmarkt will das ändern. Welche Unterstützung für Arbeitgeber*innen ist vorgesehen?
Der Lohnkostenzuschuss für schwerbehinderte Menschen im Budget für Arbeit beträgt bis zu 75 Prozent und ist zeitlich nicht begrenzt. Damit wollen wir Unternehmen motivieren, auch schwerstbehinderte Personen einzustellen. Und wir wollen erreichen, dass Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen tätig sind, eine Chance haben, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Für diese Fälle haben wir eine Ausnahmeregelung geschaffen: Ein Unternehmen, das einen Menschen direkt aus einer Werkstatt einstellt, bekommt die Ausgleichsabgabe doppelt bis hin zum vierfachen angerechnet. Menschen, die aus Werkstätten kommen, bringen oftmals besondere Unterstützungsbedarfe mit, weshalb wir hier neben einem Lohnkostenzuschuss auch die Unterstützung durch eine Arbeitsassistenz brauchen. Damit bekommen Unternehmen ausreichend Anreize, tätig zu werden.
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Wer trägt die Kosten für die Assistenz?
Das kommt darauf an. Das kann über die Eingliederungshilfe finanziert sein oder auch über die Bundesagentur für Arbeit. Wenn eine Behinderung durch einen Arbeitsunfall verursacht wird, sind die Berufsgenossenschaften zuständig. Es gibt eine Bandbreite an Trägerschaften für diese Unterstützung.
Eine Ausgleichsabgabe zahlen Arbeitgeber*innen dann, wenn sie ihrer Verpflichtung, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen, nicht nachkommen. Was soll sich hier ändern?
Ab einer bestimmten Unternehmensgröße – für kleine Unternehmen bis zu einer Größe von 59 Beschäftigten gelten gesonderte Beiträge – gilt für Unternehmen die Verpflichtung, eine bestimmte Anzahl an Arbeitsplätzen mit Menschen mit Behinderungen zu besetzen. Tun sie das nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe zahlen, die bislang in drei Stufen gestaffelt war, je nach Anzahl der nicht besetzten Plätze steigt auch die Höhe der Abgabe. Mit dem neuen Gesetz führen wir eine vierte Stufe ein, die deutlich teurer wird.
Was hat es mit der vierten Stufe auf sich?
Für Unternehmen, die keinen einzigen Menschen mit Behinderung beschäftigen und damit auch keinen Beitrag zum inklusiven Arbeitsmarkt leisten, verdoppelt sich künftig die Abgabe auf 720 Euro monatlich. Das ist nicht als Strafe gedacht, sondern als Anreiz, sich damit zu beschäftigen, Menschen mit Behinderung eine Chance zu geben.
Wohin fließt das Geld?
Das fließt in den sogenannten Ausgleichsfonds, aus dem die Maßnahmen zur Unterstützung finanziert werden: Das reicht von Lohnkostenzuschüssen bis hin zu Assistenzmaßnahmen. Außerdem soll künftig die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass das Geld zweckentfremdet wird. So gab es in der Vergangenheit Bundesländer wie Baden-Württemberg, die die Mittel aus der Ausgleichsabgabe dazu verwendet haben, Wohnheime für Menschen mit Behinderungen zu bauen. Dafür sind sie nicht gedacht, sondern dafür, dass Menschen mit Behinderungen Unterstützung bekommen, um im ersten Arbeitsmarkt arbeiten zu können.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Gesetz?
Das Gesetz ist sehr ausgewogen. Zwar müssen Unternehmen, die keinen Menschen mit Behinderung beschäftigen, mehr zahlen, dafür aber bekommen sie umso mehr Unterstützung, wenn sie es tun. Mir tut es regelrecht leid, dass wir in unserer Gesellschaft überhaupt so viele rechtliche Anreize schaffen müssen, damit Menschen mit Behinderungen beschäftigt werden. Deshalb können wir auch noch nicht von einer inklusiven Gesellschaft oder einem inklusiven Arbeitsmarkt sprechen. Das wäre erst erreicht, wenn behinderte Menschen ohne diese ganzen Zusatzleistungen beschäftigt würden. Es gibt auch Stimmen im Parlament, die behaupten, man müsse das Abgabesystem in ein Belohnungssystem umwandeln. Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen einstellen, sollten danach belohnt werden. Das ist inakzeptabel. Menschen mit Behinderungen sind nicht Empfänger sozialer Almosen, die sich auch noch bei den Unternehmen bedanken müssen, dass sie eingestellt wurden.
Wie geht es jetzt weiter?
Natürlich schafft man einen inklusiven Arbeitsmarkt nicht nur, indem man eine vierte Stufe bei der Ausgleichsabgabe einführt und Unterstützungen für die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt gibt. Deshalb wollen wir in dieser Legislaturperiode auch noch einen Gesetzentwurf für die Modernisierung der Werkstätten erarbeiten. Hier wollen wir besonders die Arbeitsbedingungen der Menschen in den Werkstätten verbessern und ihnen mehr Optionen bieten, um aus den Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt gehen zu können. Wir wollen die Werkstätten in die Zukunft tragen. Erst dann können wir davon sprechen, in dieser Legislaturperiode Gesetze zum inklusiven Arbeitsmarkt verabschiedet zu haben.
Takis Mehmet Ali ist Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion und Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat den Gesetzentwurf zum inklusiven Arbeitsmarkt im November 2022 eingebracht, im Dezember wurde das Gesetz verabschiedet. Am Donnerstag wird es in dritter Lesung im Bundestag beraten. Mehr Informationen unter bmas.de
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.