Inland

„Wie ausländerfeindlich ist diese Gesellschaft?“

von Birgit Güll · 15. Dezember 2011

Was tun gegen Rechts? Dieser Frage widmete sich die Berliner Akademie der Künste am 14. Dezember. Die Morde des „Zwickauer Trios“ haben die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Rechtsextremismus gelenkt. Doch wie lange wird sie anhalten? Und wie weit ist das braune Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen?

Die Sonderkommission, die die Morde an den türkischen und griechischen Menschen aufklären sollte, hieß allen Ernstes „Bosporus“ und kam nicht auf die Idee in Richtung rechtsextremer Motive zu ermitteln. Der Verfassungsschutz will trotz eingeschleuster V-Leute nichts gewusst haben. Da stellt sich für den Rechtsextremismus-Experten Bernd Wagner die Frage: „Wie latent ausländerfeindlich ist diese Gesellschaft?“ Der Kriminalist ist Mitbegründer der Neonazi-Aussteiger-Initiative „Exit“. An diesem Abend in der Akademie der Künste berichtet er davon, wie seine Warnungen jahrelang ignoriert wurden.

Völkische Gesinnung mit modernem Antlitz

Die Amadeu-Antonio-Stiftung zählt 182 Morde, die Rechtsextreme seit 1990 in Deutschland verübten. Die offizielle, von der Bundesregierung bestätigte Zahl liegt bei 47 Todesopfern rechtsextremer Gewalt. „Die Innere Sicherheit und die Politik haben keine klare Lagebewertung dessen, was vor uns steht“, warnt Wagner. Zwar ermittelten die Behörden, allerdings stelle sich die Frage, unter welchem Paradigma Informationen beschafft und bewertet würden.

Die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) habe den Ernst der Betrachtung der Lage zwar verstärkt, sagt Wagner, das habe aber nicht ausgereicht. Heute seien Neonazis nicht mehr sofort an ihrer Kleidung zu erkennen. Längst wurde die völkische Ideologie mit einer modernen Ästhetik verbunden, betont der Experte und warnt: Gebe es in Deutschland eine rechte Regierung wie in Ungarn, „große Teile der Bevölkerung würden in das völkische Lager wechseln“.

Keine Aufklärung rechtsextremer Taten

Wie ausländerfeindlich ist diese Gesellschaft also? „Es gibt eine zunehmende Übereinstimmung zwischen der extremen Rechten und den latenten Ängsten vor Überfremdung“, sagt Uwe-Karsten Heye. Er ist Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender des Vereins „Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“, der Kampagnen gegen Rassismus und für Zivilcourage fördert und insbesondere Jugendliche ansprechen möchte.

Heye, der frühere Regierungssprecher von Gerhard Schröder und ehemalige vorwärts-Chefredakteur ist empört: Es gebe keine Trauer über die Opfer des Rechtsextremismus und es gebe keine Tabuisierung rechten Gedankenguts. Vor allem gibt es keine Aufklärung. „Wozu haben wir den Verfassungsschutz“, fragt Heye. Der Regisseur Andres Veiel spricht im Zusammenhang mit den Morden des „Zwickauer Trios“ von einem „Verantwortungsvakuum“. Nach Außen werden Aufklärung versprochen, aber „es passiert einfach nichts“, so Veiel.

Das liege am mangelnden Druck, die Medien hakten nicht wirklich nach. Das liege aber auch an Versäumnissen der Politik, so Veiel: „Wer kontrolliert eigentlich den Verfassungsschutz?“ Das sei Aufgabe der Politik, betont Wagner. Allerdings handle der Staat hier dysfunktional. Hinzu komme, dass die Taten des „Zwickauer Trios“ eine Vielzahl an Fragen aufwerfen. „Wir sind mitten in einer finsteren Black Box“, sagt der Regisseur. Keinerlei Erkenntnis verspricht er sich von dem eilig gezogenen Verglich mit der RAF. Der historische Hintergrund sein ein völlig anderer, betont er, der sich in seiner Arbeit sowohl mit der RAF („Black Box BRD) als auch mit den Gewaltverbrechen von Neonazis („Der Kick“) beschäftigt hat.

Im Funkloch der Demokratie

Bleibt die Frage nach den Ursachen für den Rechtsextremismus. Man müsse sich mit dem Täter-Umfeld sehr genau beschäftigen, sagt Veiel, der einen von Neonazis verübten Mord für sein Theater- und Filmprojekt „Der Kick“ rekonstruierte. „Die Jüngeren haben ihn ausgeführt, die Älteren haben applaudiert“, sagt er. Auch Heye betont, dass Rechtsextremismus nicht nur ein Problem der Jugend sei: „Kein Nazi ist vom Himmel gefallen.“ Darüber hinaus sei der Neonazismus ein gesamtdeutsches, kein ostdeutsches Problem.

Die Bildung sieht Heye als Schlüssel. In den verlassenen ländlichen Regionen gebe es nicht mehr Nazis. Es blieben allerdings jene zurück, die anfälliger für dieses Gedankengut seien. Sie lebten in einem „Funkloch der Demokratie“, so Veiel. Und plädiert dafür die Demokratie zu stärken. Er ruft dazu auf, ein Netzwerk aus Künstlern und Medienvertretern zu bilden. Die Medienkarawane dürfe nicht einfach weiterziehen und die rechtsextremen Morde vergessen. „Wir bringen das zur Widervorlage“, sagt Veiel.

Politische und wirtschaftliche Mitverantwortung

Für eine starke Gegenöffentlichkeit plädiert auch Heye. Allerdings: „Ich bin zunehmend skeptisch, ob der Staat in unserem Kampf gegen Rechtsextremismus an unserer Seite ist“, sagt Heye. „Es gibt eine politische und wirtschaftliche Mitverantwortung“, sagt Heye. So sei es nicht nur schwierig, Gelder zur Finanzierung von Projekten gegen Rechts zu bekommen. Die von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) Anfang 2011 eingeführte Extremismusklausel erschwere den Initiativen ihre Arbeit.

Die Projekte müssen sich nicht nur selbst zur Verfassung bekennen, sondern sie müssen diesen Eid auch für alle Organisationen mit  denen sie zusammenarbeiten ablegen. Jeder Kooperationspartner, jeder Referent muss überprüft werden – im Zweifel müssen Verfassungsschutzberichte oder Behörden zu Rate gezogen werden. „Ich lehne diese Gesinnungsschnüffelei ab“, sagt Heye. Viele Initiativen gegen Rechtsextremismus sehen das ähnlich. Das Problem: Organisationen, die sich den Auflagen des Ministeriums nicht unterwerfen, kriegen keine öffentlichen Fördergelder. So sind inzwischen einige Projekte in finanzielle Not geraten oder mussten schließen.

Die Krise der Demokratie

Eine große Gefahr sieht Veiel darin, dass die aktuelle Krise der Demokratie von rechts instrumentalisiert werden könnte. Milliarden würden hin und her geschoben, Sachzwänge vorgeschoben und die Frage nach dem Zustand der Demokratie werde laut. In Ungarn sei bereits zu sehen, wie sich die Lage zuspitzen könne. Davon berichtet die ungarische Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky. Sie schildert die Situation und betont: „Seit vielen Jahren gibt es viele die schreien – aber es wird nicht gehört, auch nicht im Westen“, so Marsovszky.

Als Hysterie seien die Warnungen abgetan worden. Jetzt sei eine Regierung an der Macht, die ihre völkische Ideologie verbreite, die geprägt ist von Antisemitismus, Antiziganismus und dem Glaube an die völkische Nation, so Marsovszky. Wagner betont, dass die europäische Politik seit längerem stark auf Ethnisierung setze – das berge eine große Gefahr.

Keine der geladenen ExpertInnen hatte ein Patentrezept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus anzubieten. Das war auch nicht zu erwarten. Gelungen ist es, abzustecken wie groß und wie anschlussfähig die Gefahr von rechts ist. Und wie wichtig es ist, das Thema nicht ständig kleinzureden.

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Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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