Bislang dürfen Verbindungs- und Standortdaten, die bei Internetprovidern und Telefongesellschaften automatisch anfallen, grundsätzlich nur zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Werden die
Daten nicht mehr benötigt, müssen sie gelöscht werden. Damit verschwinden diese Daten im digitalen Nichts. Deutschen Ermittlungsbehörden ist diese "Lücke" in der Strafverfolgung ein Dorn im Auge.
Abhilfe soll das geplante Gesetz schaffen, welches auf einer EG-Richtlinie beruht. Demnach sollen alle Telekommunikationsunternehmen künftig ein halbes Jahr auf Vorrat speichern, wer, wo,
wann und mit wem per Internet oder Telefon kommuniziert hat.
Das geplante Gesetz steht damit in der Tradition der Debatten, die nach dem 11. September ins Licht einer breiteren Öffentlichkeit gerückt sind: biometrische Erkennungsmerkmale in
Reisepässen, Videoüberwachung öffentlicher Räume, Online-Durchsuchungen usw. Diese Beispiele zeigen, dass die Erhebung und Verwendung von Daten potenziell alle Lebensbereiche umfasst.
Perfekte Überwachungsinfrastruktur
Die von den Betroffenen hinterlassenen Datenspuren ermöglichen es, präzise Profile über Ihre Verhaltensweisen und Präferenzen zu erzeugen. Solche Daten wecken zudem Begehrlichkeiten. Als
Interessenten kommen Versicherungen, Auskunfteien, Anbieter von Waren und Dienstleistungen, Arbeitgeber und staatliche Ermittlungsbehörden in Betracht. Die Folge: Das Wissen, dass Außenstehende
jederzeit Zugriff auf Daten über das eigene Verhalten haben könnten, wirkt auf das eigene Verhalten zurück.
Das geplante Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eröffnet den staatlichen Ermittlungsbehörden einen Zugang zu dieser Überwachungsinfrastruktur.
Datenspeicherung mit Augenmaß und effektivere Verbrechensbekämpfung?
Das Gesetzesvorhaben ist rechtlich und politisch umstritten. Die Argumente der Befürworter und Gegner kreisen im Kern um die Frage, ob die Vorratsdatenspeicherung ein unverzichtbares und
wirksames Ermittlungswerkzeug zur Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität sei.
Die Bedenken, die sich gegen das geplante Gesetz ins Feld führen lassen, wiegen schwer. Zu den Bedenkenträgern gehört nicht nur der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, sondern auch
Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Während der Bundesdatenschutzbeauftragte die Verhältnismäßigkeit der Mittel anmahnt und ein einzellfallbezogenes Verfahren als
unbedenklichere Alternative zur allgemeinen Vorratsdatenspeicherung empfiehlt (das sog. "
Quick-Freeze-Verfahren"), äußern Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes "erhebliche Bedenken, ob die (EG-)Richtlinie in
der beschlossenen Form mit dem Europarecht vereinbar ist.
Dies betrifft zum einen die Wahl der Rechtsgrundlage, zum anderen die Vereinbarkeit mit den im Gemeinschaftsrecht anerkannten Grundrechten." Des Weiteren erscheint es ihnen "zweifelhaft,
dass dem Gesetzgeber aufgrund der europarechtlichen Vorgaben eine verfassungsgemäße Umsetzung gelingen wird."
Zu ihren "Verbündeten" dürfen sie nicht nur nationale Gerichte zählen, sondern auch den Europäischen Gerichtshof. Gegen die umstrittene EG-Richtlinie haben Irland und die Slowakei beim
Europäischen Gerichtshof bereist Klage eingereicht. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird für 2008 erwartet.
Sehr problematisch ist jedoch die weite Fassung der Zweckbestimmung und der Rückgriff auf Generalklauseln ("berechtigtes Interesse", "schutzwürdiges Interesse der Betroffenen") bei
geplanten Maßnahmen. Nicht selten werden dadurch Zugriffsbeschränkungen, die heute noch gesetzlich vorgesehen sind, morgen schon durch Gesetzesänderungen aufgehoben.
Das Verhältnis von Aufwand und Wirkung
Zweifel bestehen ebenfalls hinsichtlich des zu erwartenden Nutzens. Nach einer Studie des Bundeskriminalamtes aus dem Jahre 2005 würde sich die Aufklärungsquote im besten Fall um 0,006
Prozent erhöhen. Auch die Datenberge, die produziert würden, wären gewaltig. Es ist eine Sache, die Daten zu speichern, eine andere hingegen ist es, sie auszuwerten und zu verstehen. Schließlich
können die vorgesehenen Regelungen - selbst von Laien - leicht umgangen werden.
Vor diesem Hintergrund lautet die Frage: Woher nehmen die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung die Gewissheit, dass diese Maßnahme rechtens und sinnvoll ist?
Die schleichende Bedeutungslosigkeit von Bürgerrechten
Angesichts terroristischer Bedrohungsszenarien wächst in der Bevölkerung die Bereitschaft, im Namen der Sicherheit das Private sorglos aufzugeben. Wer redlich lebt, hat nichts zu verbergen,
heißt es oftmals. Dem kann entgegen gehalten werden: "Wer Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit."
Thomas Bibisidis ist Politikwissenschaftler und Doktorand am Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen in Köln, freier Autor und freier Dozent für politische
Bildung.
0
Kommentare
Noch keine Kommentare