Wie könnte eine erfolgreiche Wachstumsstrategie für Deutschland in der kommenden Legislaturperiode aussehen? Die Ökonomen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung haben am Donnerstag in Berlin eine Studie zu diesem Thema vorgestellt und kritisieren die Wachstumspolitik der vergangenen anderthalb Jahrzehnte.
„Die angebotsfixierte deutsche Wirtschaftpolitik hat das Wachstum gebremst und Europa geschadet “ , lautet die Kernaussage der Ökonomen des IMK Alexander Herzog-Stein, Fabian Lindner und Rudolf Zwiener. Darin untersuchen sie den Zeitraum zwischen 1999 und 2013. Der Beginn der Europäischen Wirtschaftsunion und die Reformen der Rot-Grünen-Regierung, zum Beispiel Steuersenkungen und Hartz-Gesetze, haben nach Meinung der Forscher einen höheren Druck auf Arbeitnehmer und Arbeitslose ausgeübt. Die Folgen der „atypischen“ Arbeitsverhältnisse seien ab 2003 eine Konjunkturschwäche, geringere Steuereinnahmen und ein steigendes Staatsdefizit gewesen, die in einem Sparkurs endeten. Nur der starke Export habe verhindert, dass Deutschlands Konjunktur stagniert oder sinkt.
Den Kurs fortsetzen oder Alternativen suchen?
Wegen des stagnierenden Wirtschaftswachstums und des Drucks auf Arbeitsnehmer und Arbeitslose sucht das IMK Alternativen für die neue Legislaturperiode. Nach Meinung der Forscher hatten vor allem wohlhabende Unternehmer von Kosten- und Steuersenkungen für Unternehmer profitiert. Auch der deregulierte habe Arbeitsmarkt das Niveau der sozialen Sicherung gesenkt. Die Ökonomen meinen, dass weniger Druck auf die Lohnentwicklung, die soziale Absicherung und Regulierungen seitens des Staats Bedingungen für ein beachtliches Wirtschaftswachstum seien. „Deutschland boomt? Bei 0,4 bis 0,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr kann man höchstens von einer besseren Stagnation sprechen“, mahnte der Wissenschaftliche Direktor des IMK Gustav Horn. „Wir freuen uns nur darüber, dass es uns besser geht als anderen.“
Nur die Nachfrage aus dem Ausland habe überhaupt zu Wachstum geführt. Die Geschäfte seinen aber hauptsächlich aus Krediten finanziert, die im Zuge der Wirtschaftskrise 2008/2009 verloren gingen.
Zwischen 2001 und 2005 verzeichnen die Wissenschaftler sowohl einen starken Einbruch der Binnennachfrage im privaten und öffentlichen Konsum als auch bei den Investitionen. Ein Grund dafür seien die schwachen Reallöhne bis 2009.
Die Studie schildert zwei Wege, um die inländische Nachfrage zu steigern. Das Einführen eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes und einer gesetzlichen Stabilisierung des Tarifsystems wäre der eine. Der zweite ist ein langfristiges Wachstumsprogramm durch höhere staatliche Investitionen und ein stärkeres gesetzliches Rentensystem. Damit beschreibt die politisch unabhängige Studie die Wege, die auch die SPD gehen will und auch in den Koalitionsverhandlungen vertritt. „Wir brauchen auch Steuererhöhungen. Obwohl die Steuerschätzungen einen großen Überschuss voraussagen, können wir uns nicht darauf verlassen. Wenn es schlechter läuft, ist dieser Überschuss ganz schnell weg“, sagte Horn.
Der europäische Kontext
„Die neue Bundesregierung hat die Aufgabe, eine Wachstumsstrategie für Deutschland und Europa zu formulieren“, sagte Horn bei der Vorstellung der Studie. „Mit der Strategie des „Weiter so“ wird die Krise weiter schwelen. Die Themen müssen in einen europäischen Kontext gestellt werden, weil wir sonst nicht weiter kommen“, betonte er.
Im Gegensatz zu anderen Ländern Europas sei in Deutschland ein unterdurchschnittlicher Anstieg der Löhne seit Beginn der Europäischen Wirtschaftunion zu vermerken. Das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung liege deutlich hinter den Zuwächsen der meisten europäischen Partnerländer. „Während der Wirtschaftskrise war die Politik sehr passiv. Der Mut fehlte, aber auch das Signal, dass man gemeinsam die Krise bewältigen kann“, erklärte Alexander Herzog-Stein. Vor allem die Krisenländer, aber auch Staaten wie Frankreich oder die Niederlande büßten Teile ihrer Wachstums- und Beschäftigungsgewinne ein. „Wir sind unter unseren Möglichkeiten. Die Dynamik fehlt. Die Wirtschaft muss mehr in „Humankapital“ investieren. Das heißt: gute, innovative Arbeitskräfte fördern“, so Herzog-Stein. „Wir haben uns zu stark auf das Fordern konzentriert.“
Die Studie kann auf der Homepage des IMK nachgelesen werden.