Weltklimaschutz vertagt, aber nicht abgeschrieben
Das erklärte gemeinsame Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, hat die Welt nicht aufgegeben, aber auf dem Wege dahin hat sie im wüstenheißen Doha soeben ein weiteres Jahr verloren.
Aber immerhin: Das Kyoto-Protokoll, der einzige praktisch bindende Klimaschutzvertrag, wurde, wenn auch mit weniger gewichtigen Mitgliedern und mageren Minderungszielen, bis zum Jahre 2020 verlängert. Wie ein angeschlagener, aber noch nicht zu Boden gegangener Boxer hat sich so der internationale Klimaschutz über eine weitere Runde gerettet.
Immer weniger Staaten gehen den Kyoto-Weg fester vertraglicher Verpflichtungen mit – Kanada, Russland, Japan und Neuseeland haben sich schnöde ausgeklinkt – und die verbliebenen Pioniere, ausschließlich Europäer und Australier, treten überdies noch langsamer, als es die meisten von ihnen könnten. Die Hoffnung, eine Vorhut zu sein, der sich über kurz oder lang alle anderen anschließen müssen, hält sie zusammen.
Mutlose Schrittmacher des Klimaschutzes
Die EU als Kyoto-Kerntruppe ist bei der Zusage einer Verringerung der Treibhausgas-Emissionen um 20 Prozent bis 2020 vorerst stehengeblieben, die sie voraussichtlich in wenigen Jahren, vielleicht schon 2014, erreichen wird. Vergeblich hatten die Union alle um das Klima besorgte Stimmen zu einer Anhebung des Ziels auf 30 Prozent aufgefordert. Die wieder einmal in sich uneinige Bundesregierung ließ jede vernehmbare Initiative in dieser Richtung vermissen, geschweige denn dass sie die zu Recht weltweit beachtete deutsche Energiewende massiv als einen gangbaren Weg auch für andere propagiert hätte. Aber die Anhebung des EU-Klimaziels ließe sich noch nachholen, auch der durch ein Überangebot von Verschmutzungsrechten lädierte Emissionshandel wäre dringend reparierbedürftig.
Große Klimasünder machen sich klein
Ausgerechnet das Kohleland Polen, Haupt- oder Mitverhinderer eines ehrgeizigeren Klimaschutzes in der EU, will nun die nächste, die 19. Konferenz der Signatarstaaten der Klimarahmen-Konvention von Rio, ausrichten. Und doch sind nicht die letzten Kyoto-Aufrechten in erster Linie zu tadeln; mit einem Anteil von nur gut einem Siebentel am weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen werden sie die bisher unaufhaltsam voranschreitende Erderwärmung so oder so nicht aufhalten können. China allein hat in einem einzigen Jahr, im Jahr 2010, so viel klimabelastendes Kohlendioxyd zusätzlich ausgestoßen wie Deutschland an Treibhausgasen insgesamt in die Atmosphäre entlässt, nämlich rund 800 Millionen Tonnen.
China und die USA, die sich sonst beide bei jeder anderen Gelegenheit als Großmächte gebärden und die zusammen 40 Prozent der weltweiten Klimabelastung verursachen, haben sich in Doha wieder einmal so klein wie nur irgend möglich gemacht. Zwar haben auch sie an der Ausarbeitung eines Fahrplans mitgewirkt, mit dessen Hilfe bis 2015 ein dann alle bindender Klimaschutzvertrag ausgehandelt werden könnte. Aber das kostet sie einstweilen keinen Dollar und keinen Yüan. Bis zum Beweis des Gegenteils sind ihre Absichtserklärungen nicht mehr wert als das Versprechen eines Trinkers, nicht heute und nicht morgen, aber vielleicht übermorgen mit dem Saufen aufzuhören.
Ist Venedig noch zu retten?
Inzwischen reißt die Kluft zwischen Sollen und Sein im Klimaschutz weiter auf. Der Anstieg des temperaturtreibenden Kohlendioxyds in der Luft war dieses Jahr stärker als jemals zuvor in den vergangenen Jahrhunderten. Die Folgen lassen nicht auf sich warten. Der Klimawandel laufe viel schneller, als wir gedacht haben, sagt nicht nur UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Insbesondere der Anstieg des Meeresspiegels geht sichtlich über die Erwartungen der Klimawissenschaft hinaus. Er wisse nicht, wie Venedig unter diesen Umständen noch zu verteidigen sei, es sei denn vielleicht mit einer hohen Mauer, warnt Hans-Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung.
Fotos von den reißenden Schmelzwasserströmen auf dem hoch aufragenden grönländischen Eisschild untermalten in den Konferenztagen die Warnungen vor kommendem Unheil. Die Eisbedeckung des Nordmeers schrumpfte in diesem Spätsommer so stark wie niemals vorher beobachtet zusammen und war Mitte/Ende September nur noch halb so ausgedehnt wie vor 30 Jahren. Mit den vorherrschenden Windrichtungen ändert sich in vielen Weltgegenden bereits das gewohnte Wettermuster.
Deutsche Energiewende als Vorbild
Bereits im Vorfeld der Konferenz von Doha waren vermehrt Stimmen zu hören, die die politisch gewollte Erwärmungsgrenze von zwei Grad als schon nicht mehr erreichbar abschreiben wollten. Dabei wären schon zwei Grad plus eine Katastrophe, die die deutsche Hauptstadt klimatisch nach Nordalgerien verrücken würde. Doch es ist immer noch zu früh zu glauben, dass die Weltstaatengemeinschaft sich tatenlos auf ein Klima-Tohuwabohu zutreiben lässt gegen das die Eurokrise oder der US-Haushaltsstreit, die sogenannte Fiskalklippe, nur Peanuts wären. Neue Wirbelstürme von der Wucht wie „Katrina“ (2005) und „Sandy“ (2012) in den USA oder auch neue Extremsommer wie 2003 in Mitteleuropa und 2010 in Russland werden, wenn sie kommen, das Bewusstsein für die Bedrohung wieder schärfen und den Politikern - hoffentlich noch rechtzeitig - Beine machen.
Deutschland kann inzwischen nichts Besseres tun, als der Welt vorzumachen, wie man als Industriestaat ohne Kernkraft, hauptsächlich gestützt auf erneuerbare Energien, gleichwohl wirtschaftlich bestehen kann. Gelingt das und lassen wir uns darin nicht beirren, werden wir Nachahmer finden.