Weltklimakonferenz: Umweltverbände nehmen Merkel in die Pflicht
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Wenn sich am heutigen Mittwoch Staatspräsidenten und Regierungschefs auf der Weltklimakonferenz (COP23) in Bonn treffen, wird die Gastgeberin mit leeren Händen dastehen. So zumindest sehen es die führenden deutschen Umweltverbände: Trotz der vermeintlichen „Klimakanzlerin“ Angela Merkel tritt Deutschland beim Klimaschutz auf der Stelle. Vor einigen Wochen musste die Bundesregierung gar einräumen, dass sie ihre selbstgesteckten Minderungsziele für den CO2-Ausstoß aller Voraussicht nach verfehlen wird. Und Besserung ist nicht in Sicht. Bei den Sondierungsgesprächen für eine mögliche Jamaika-Koalition sind „nicht einmal Minimalkompromisse für eine zukunftsfähige Klimapolitik absehbar“, kritisieren die Verbände.
Jamaika ist klimapolitisch „absurdes Theater“
Vor der Rede Merkels beim Klimagipfel am Mittwoch erhöhen sie deshalb den Druck auf die Kanzlerin. „Bis jetzt waren die Jamaika-Sondierungen klimapolitisch absurdes Theater. Anstatt endlich die Klima-Versprechen der Kanzlerin anzugehen, versucht sich ihre Partei in alternativen Fakten zum Stand des Klimaschutzes in Deutschland“, kritisiert der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Umwelt- und Naturschutz (BUND), Ernst-Christopher Stolper.
Die Umweltverbände fordern deshalb klare Klimaziele für die Bereiche Energieerzeugung, Verkehr und Landwirtschaft. „Wir können bis 2020 etwa doppelt so viele Kohlekapazitäten abschalten, wie es die Grünen bislang vorschlagen – und weiter eine der sichersten Stromversorgungen Europas haben“, sagt Greeenpeace-Geschäftsführerin Sweelin Heuss. Die Grünen fordern, die Stromgewinnung aus Kohle um acht bis zehn Gigawatt zu reduzieren, CDU und FDP sind nur zu einer Reduzierung von drei bis fünf Gigawatt bereit. Von ihrer Forderung aus dem Wahlkampf, einen vollständen Kohleausstieg bis 2030 durchzusetzen, hatten sich die Grünen bei den Sondierungen ohnehin schon früh verabschiedet.
Jugendverbände wollen schnelle Kohleausstieg
Genau den fordert das „Jugendbündnis Zukunftsenergie“ in einem offenen Brief an die Jamaika-Unterhändler, den sie am Dienstagabend mit den Jugendorganisationen der Umweltverbände vorgestellt hat. „Deutschland darf international nicht zum Klimaheuchler werden. Ohne einen schnellen Kohleausstieg kann das nicht klappen“, schreibt das Bündnis, das mit einer eigenen Delegation bei der Bonner Klimakonferenz vertreten ist.
Auch für die bislang beim Klimaschutz vernachlässigten Bereiche Landwirtschaft und Verkehr stellen die Umweltverbände klare Forderungen. „Statt pauschalen Flächenprämien, die unterm Strich zu immer intensiverer Landwirtschaft führen, braucht es gezielte Investitionen in eine klima- und umweltfreundliche Produktion“, sagt der Präsident des Naturschutzbunds (NABU), Olaf Tschimpke. Die Landwirtschaft ist nach Angaben des Umweltbundesamtes der zweitgrößte Verursacher von klimaschädlichen Gasen in Deutschland.
VCD: Bundesregierung muss sofort in Verkehrswende einsteigen
„Der Verkehr ist der einzige Sektor in Deutschland, der bislang nichts zum Erreichen der Klimaziele beigetragen hat“, kritisiert der Vorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Wasilis von Rauch. Auch hier müsse eine mögliche Jamaika-Koalition dringend umsteuern. „Die künftige Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene für eine CO2-Minderung bei Neuwagen um mindestens 60 Prozent bis 2030 einsetzen und sofort in die Verkehrswende einsteigen“, fordert von Rauch. „Bundeskanzlerin Merkel muss endlich Verantwortung beim Klimaschutz im Verkehr übernehmen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.