Wehrbeauftragte: „Ukraine-Schock“ fordert Bundeswehr wie nie
imago images/Björn Trotzki
Der Krieg in der Ukraine überschattet in diesem Jahr auch den Bericht der Wehrbeauftragten des Bundestages Eva Högl. Als sie am Dienstag vor der Bundespressekonferenz in Berlin ihren Bericht für das Jahr 2021 präsentiert, stellt sie gleich zu Beginn fest: „Unsere Soldatinnen und Soldaten garantieren Frieden, Freiheit und Sicherheit. Putins völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine führt auf dramatische Weise vor Augen, wie real dieser Frieden bedroht ist.“ Schon jetzt werde klar, dass die Bundeswehr im Jahr 2022 bei ihrem Kernauftrag, „der Landes- und Bündnisverteidigung, so gefordert sein wird wie noch nie“. Eva Högl spricht von einem „Ukraine-Schock“, der bei der Bundeswehr, in der Politik und in der Bevölkerung eine nachhaltige Wirkung zeige.
Die Wehrbeauftragte hat gleich nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine mit vielen in der Truppe gesprochen. Es sei klar, dass dieser Krieg „Soldatinnen und Soldaten noch einmal ganz anders betrifft und beschäftigt“ als die normale Bevölkerung. So sei den Soldat*innen der Bundeswehr „sehr bewusst“, dass Verteidigung „keine theoretische Angelegenheit, sondern sehr real“ sei und sie im Zweifel auch „mit ihrem Leben für den Auftrag einstehen“ müssten. Wie konkret die Bedrohung sei, das sei den deutschen Streitkräften beispielsweise in Litauen sehr deutlich. „Unsere Soldatinnen und Soldaten sind vorbereitet, sie haben eine gute Moral, sie nehmen den Auftrag an und sie handeln mit den Partnern in der NATO Seit‘ an Seit‘“, so die Wehrbeauftragte. Sie seien auf den Ernstfall vorbereitet.
„Dankbar, dass wir die Bundeswehr haben“
In der deutschen Bevölkerung nimmt Eva Hoegl eine Veränderung der Einstellung zu den Streitkräften war: „Der Krieg in der Ukraine, so traurig das ist, das sagen zu müssen, führt auch dazu, dass viele feststellen, wie dankbar wir sein können, dass wir die Bundeswehr haben“, sagt die Wehrbeauftragte am Dienstag. Der Angriffskrieg Putins „schärft das Bewusstsein, wie wichtig militärische Abschreckung ist“.
Eine Folge dieses neuen Bewusstseins ist das von Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung angekündigte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und die Erhöhung des Verteidigungshaushalts. „Das begrüße ich ausdrücklich“, sagt die Wehrbeauftragte. Es sei „eine gute Nachricht für die Bundeswehr“. Es habe sie „sehr gefreut“, dass nach ersten Umfragen drei Viertel der Deutschen diesen neuen Kurs unterstützten. Hoegls konkrete Forderung: „Priorität muss darauf liegen, die Ausstattung zu verbessern.“ Sie betont: „Das Geld muss zügig in der Truppe ankommen.“
Eva Högl: Sondervermögen „Riesenchance“ für die Bundeswehr
Wo und wie das genau geschehen soll, was sinnvoll ist und was nicht, dazu hat Eva Högl bereits klare Vorstellungen. Es gehe um Kälte- und Nässeschutz für die Soldat*innen, um Helme, Schutzwesten, Nachsicht- und Funkgeräte. Es gehe aber auch um „großes Gerät“: Boote und Schiffe für die Marine, schwere Transporthubschrauber, eine Nachfolge für das Tornado-Kampfflugzeug zur Sicherung der nuklearen Teilhabe. Hier hatte die Bundesregierung vor kurzem entschieden, F-35-Kampfflugzeuge zu beschaffen. So komme die Summe von 100 Milliarden Euro zustande. „Wenn das jetzt in die Truppe investiert wird, dann ist das definitiv sinnvoll“, so Högl. Sie spricht von einer „Riesenchance“ für die Bundeswehr.
Damit das allerdings gelinge, müssten die Strukturen bei der Planung und Beschaffung dringend modernisiert werden. Das hochkomplexe Vergaberecht für militärische Beschaffungen müsse vereinfacht werden. Viele Ausrüstungsgegenstände ließen sich schneller auf dem freien Markt kaufen.
Wehrbeauftragte entsetzt über Ausstatung
Die aktuellen materiellen Defizite bei den Auslands-Einsätzen der Bundeswehr sind für die Wehrbeauftragte alarmierend. Bei ihren Besuchen in Mali und Niger sei sie „entsetzt“ gewesen, dass die Einsatzbereitschaft einzelner Großgeräte nur knapp 50 Prozent betragen. Dass man nun 77 Prozent erreicht habe, reiche noch nicht aus. Auch hätten alltägliche Ausrüstungsgegenstände wie Schutzwesten gefehlt. Das sei völlig inakzeptabel, denn im Ernstfall riskierten die Soldat*innen im Einsatz ihr Leben.
Die Einschätzung des Heeresinspekteurs – „Die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da“ – teilt die Wehrbeauftragte dagegen ausdrücklich nicht. Dies sei „ein sehr emotionaler Beitrag“ des Inspekteurs gewesen. „Aber die Bundeswehr ist einsatzbereit“, bekräftigt Högl. Das zeigten auch die „sehr zügigen“ Verlegungen deutscher Soldat*innen nach Litauen und Rumänien als Reaktion auf den Ukraine-Krieg. Eine weitere Verlegung sei in die Slowakei geplant. Dennoch sei klar: „Die Kaltstartfähigkeit der Bundeswehr muss deutlich besser werden.“
Högl gegen Wiedereinführung der Wehrpflicht
Die Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt die Wehrbeauftragte nicht. „Eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges ist für mich eine theoretische Debatte, die jetzt in dieser Situation nicht weiterhilft.“ Stattdessen wünscht sich Eva Högl „eine künftige Debatte darüber, wie die Bundeswehr mehr gutes Personal bekommen kann und wie auch jungen Leuten gute Angebote gemacht werden können, sich in unserer Gesellschaft zu engagieren“.
Zum aktuellen Verlauf des Krieges in der Ukraine stellt Högl klar: Sämtliche Verantwortliche im Westen „setzen alles daran, dass die NATO nicht involviert wird in diesen Krieg“. Das sei „ganz ganz wichtig“. Niemand könne sich vermutlich vorstellen, „was das heißen würde, wenn die NATO involviert würde“. Gleichwohl sei es auch wichtig, „dass die NATO vorbereitet ist und sich gut schützt und auch abschreckt – aber nicht in diesen Krieg hinein gezogen wird“.