Inland

Wege aus der Wohnungskrise

In vielen deutschen Städten explodieren die Preise für Mietwohnungen. Daran wird sich nur etwas ändern, wenn Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen. Bezahlbarer Boden ist unabdingbar.
von Karin Billanitsch · 28. Juni 2018

Der Blick aus dem Fenster auf die fernen Frankfurter Bankentürme an einem heiteren Tag ist beeindruckend. Hier in einem zweistöckigen Mehrfamilienhaus in Oberursel, 13 Kilometer vor Frankfurt am Main im Taunus gelegen, wohnt seit wenigen Wochen die Familie Siegmann (alle Namen geändert). Die junge, dreiköpfige Familie – die Eltern beide um die 30 mit einem 18 Monate alten Sohn – ist aus Berlin-Charlottenburg hierhergezogen. Nach zweieinhalb Jahren berufsbedingtem Pendeln von Berlin nach Frankfurt am Main beschlossen Michael und Melanie nach anfänglichem Zögern, in die Stadt am Main überzusiedeln. „Im Februar haben wir konkret mit der Suche angefangen. Eine Wohnung mit vier Zimmern, 95 bis 100 Quadratmetern sollte es sein. Wir hatten große Probleme etwas zu finden“, erzählt Michael Siegmann.

Aussichtslose Suche in Frankfurt

Der mühsame Weg zur dauerhaften Bleibe in Frankfurt begann in zentralen Stadtteilen „in denen man gerne leben möchte“, wie Siegmann, von Beruf Journalist, sagt. Frankfurt-Sachsenhausen, Nordend, Westend oder Bornheim, das waren die Viertel, in denen die kleine Familie zunächst hoffte, ein Zuhause zu finden. Das sind begehrte Wohnviertel mit Gründerzeitarchitektur neben Wohngebäuden aus den 50er Jahren, Kneipen und Kultur, gepflegte Grünanlagen und Spielplätze. „Wir haben schnell gemerkt, dass es aussichtslos ist“, sagt Siegmann. Ein Beispiel: Knapp 2.000 Euro sollte die Miete netto kalt für 105 Quadratmeter in Frankfurt-Bornheim kosten. In leitender Position in einem Verlag tätig, ist Siegmanns Auskommen nicht schlecht, wie er formuliert, doch „es gibt Grenzen nach oben“.

Bald suchten die Siegmanns in weniger nachgefragten Lagen: Ehemalige Arbeiterviertel wie etwa das Gallusviertel sind im Wandel, viele der ehemaligen Gewerbeflächen wurden und werden mit Wohnungen bebaut, mit etwas ­erschwinglicheren Mieten. Doch auch hier klappte es nicht, aus verschiedenen Gründen: Mal bekamen augenscheinlich zahlungskräftigere Paare den Vorzug vor der jungen Familie, mal gefiel die Lage zwischen drei Bahngleisen nicht. „Wir haben uns dann letztendlich entschieden, außerhalb von Frankfurt zu ziehen“, resümiert Siegmann.

Wie dieser Familie ergeht es Tausenden Wohnungssuchenden Tag für Tag. Es fehlt bezahlbarer Wohnraum. Die Stadt Frankfurt schätzt die Zahl der Wohnungssuchenden auf etwa 30.000 – allein 22.000 Menschen sind nach eigenen Angaben beim Amt für Wohnungswesen gemeldet. Hinzu kommen jene, die – jenseits der Förderprogramme – auf den freien Markt angewiesen sind. Die Bankenmetropole liegt laut Statistik mit durchschnittlich 13,90 Euro pro Quadratmeter auf dem zweiten Platz der Städte mit den höchsten Mietpreisen. In einzelnen Stadtteilen sind die Mieten im Schnitt sogar auf mehr als 15 Euro pro Quadratmeter gestiegen – obwohl die Stadt laut Jahresabschluss im vorigen Jahr 66 Millionen Euro in Städtebau und Wohnungen investiert hat.

Schäfer-Gümbel: Mehr bauen!

Der hessische SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl Thorsten Schäfer-Gümbel kritisiert in einem Gespräch mit vorwärts.de die massiven Versäumnisse in Hessen: „Der entscheidende Punkt ist, dass es seit 19 Jahren CDU-Regierung kein Verständnis dafür gibt, dass bezahlbarer Wohnraum eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge ist.“ Wohnungsgesellschaften seien privatisiert worden und es sei deutlich zu wenig gebaut worden. „Seit die CDU regiert, ist der Anteil der Sozialwohnungen in Hessen von rund 183.000 auf knapp 80.000 Wohneinheiten gesunken – eine dramatische Entwicklung. Wenn wir nicht hart gegensteuern, wird sich diese Entwicklung beschleunigen“, warnt Schäfer-Gümbel. Er kündigt an, als Ministerpräsident jährlich zusätzlich 6.000 neue Wohneinheiten bauen zu wollen. Jedes Jahr sollen dafür 100 Millionen Euro bereitgestellt werden – zusätzlich zur Förderung des Bundes. „Wir wollen alle Mittel nutzen, um bezahlbare Mieten zu gewährleisten. Da muss das Land auch Geld in die Hand nehmen.“ Zur Gegensteuerung gehört seiner Meinung nach auch, dass „der rasante Anstieg der Bodenpreise eingedämmt werden“ muss.

Nachdem die schwarz-gelbe Bundesregierung im Jahr 1988 mit Wirkung für Anfang Januar 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft hatte, zog sich vielerorts die öffentliche Hand aus dem geförderten Wohnungsbau zurück. Und weil immer mehr Menschen in die Städte und Ballungsräume ziehen, ist das Angebot dort besonders knapp und die Situation dramatisch geworden.

Kohnen: Mieten sind Topthema

Ortstermin in München, der Stadt in Deutschland mit den teuersten Mietpreisen. Jedes Jahr wächst die Bevölkerung der bayerischen Landeshauptstadt um rund 30.000 Einwohner, seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Einwohnerzahl quasi verdoppelt. 2022 wird die 1,7 Mil­lionengrenze überschritten werden, so die Prognose. Durchschnittlich müssen Mieter laut Statistik 17,57 Euro für Neuvertragsmieten hinblättern. Die bayerische SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl Natascha Kohnen gibt sich kämpferisch: „Das Thema ¸Kann ich mir mein Dach über dem Kopf noch leisten?‘ ist Nummer eins. Das ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Die müssen wir bewältigen, damit unsere Gesellschaft wirklich zusammenhält.“

Wohnungsbau sei über Jahrzehnte nicht von Belang gewesen, kritisiert Kohnen. „Die bayerische SPD hat bereits 2012/2013 gesagt, dass wir eine eigene Wohnungsbaugesellschaft des Landes brauchen, damit der soziale Wohnungsbau endlich nach vorn kommt.“ Doch hier habe die CSU „schlichtweg die ­Augen verschlossen.“ Dass der Freistaat unter dem damaligen Finanzminister Markus Söder 33.000 Wohnungen verkauft habe, sei ein „kapitaler Fehler“ gewesen, kritisiert sie und fordert: „Das Land muss in den kommenden fünf Jahren 25.000 bezahlbare Wohnungen ­bauen, pro Jahr 5.000.“ Das sei ambitioniert, aber machbar. Jedoch müsse man es „jetzt sofort angehen“.

Je mehr Wohnungen die öffentliche Hand besitzt, sei es auf Landes- oder kommunaler Ebene, desto mehr kann sie preisdämpfend auf den Markt wirken. Hier wird oft Wien als Vorbild genannt. Wien ist eine Mieterstadt. Hier sind 220.000 Wohnungen Gemeindewohnungen der Stadt Wien, dazu kommen noch einmal 200.000 von gemeinnützigen Wohnbauträgern errichtete Wohnungen. Zum Vergleich: In München haben beide städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und Gewofag zusammen einen Bestand von rund 60.000 Wohnungen. Die Hauptstadt Österreichs besitzt mit ihrem hohen Wohnungsbestand ein ganz wichtiges Instrument, um die Wohnungspolitik zu steuern. Das ist das Ergebnis langjähriger sozialdemokratischer Politik, die breiten Rückhalt in der Gesellschaft findet.

Bezahlbare Mieten sind möglich

In München-Perlach, entlang der Autobahn A 8 Richtung Salzburg, entsteht ein neues Wohnviertel. Hier soll es in wenigen Jahren rund 1.100 Wohnungen geben, auch Kindergärten, Geschäfte und Grünflächen – auf insgesamt 19 Hektar Grund. Auf dem Areal, das teils von einer Gärtnerei, aber auch als Kompostierungsanlage genutzt wurde, baut – neben privaten Bauträgern – auch die Gewofag. Die ersten Gebäude konnten im Laufe des vergangenen Jahres bezogen werden. Rund 270 Gewofag-Wohnungen auf vier Grundstücken werden es sein, wenn alles fertig ist.

In der Mittagszeit ist es hier ruhig, nur wenige Menschen sind unterwegs. „Als das Quartier geplant wurde, gab es Bedenken: Ausgerechnet die Mieter im sozial geförderten Wohnungsbau bekämen den Lärm ab“, erzählt Klaus-Michael Dengler, Sprecher der Geschäftsführung der Gewofag. Doch das hat sich nicht bewahrheitet: Denn in dem Gebäude wurde für guten Lärmschutz gesorgt. ­Eine Schallschutzwand schützt den Dachgarten vor dem Dröhnen. „Wir wollten – trotz der Lage neben einer der verkehrsreichsten Straßen Münchens – ­ruhiges Wohnen für unsere Mieter und für das ganze, gemischte Quartier“, betont Dengler. Das kommunale Unternehmen macht ausschließlich sozial orientierten Mietwohnungsbau. Von Eineinhalb-Zimmer- bis Vier-Zimmer-Wohnungen ist alles im Angebot. Das Wohnungsamt wählt in einem Online-Verfahren aus den Bewerbern mit Wohnberechtigungsschein (WBS) nach Dringlichkeit aus.

Auf dem Dach des siebenstöckigen Gebäudes wurde ein kleiner Dachgarten angelegt, den die Mieter bepflanzen können. Von hier aus hat man einen guten Überblick über das Baugebiet: Weitere Geschosswohnungen stehen neben Einfamilien-Reihenhäusern. Wenn die Stadt München neues Bauland entwickelt, setzt sie das Instrument der Sozial­gerechten Bodennutzung (SoBoN) ein – schon seit mehr als 20 Jahren erfolgreich. Das Grundprinzip ist, die Investoren an den Kosten für Infrastruktur und Erschließung zu beteiligen. Außerdem sind 30 Prozent des Grundes für geförderten Wohnungsbau vorgesehen, und zusätzlich noch 10 Prozent für preisgedämpften. Der Rest wird zu marktüblichen Preisen verkauft. „Das ist in München natürlich ein Modell der Gewinnmaximierung“, sagt Dengler, ehemaliger Stadtdirektor von München. „Hier sieht man deutlich, dass die Landeshauptstadt nur dann die Chance hat, preisgedämpften Mietwohnungsbau zu machen, wenn ihr die Grundstücke gehören“, erklärt er mit Blick auf die explodierenden Bodenpreise in München. „Kaufen könnten wir so ein Grundstück nicht.“ Diese Münchner Praxis bestätigt die Forderung des hessischen Spitzenkandidaten Schäfer-Gümbel, dass preiswerter und erschwinglicher Boden ein Schlüssel für bezahlbaren Wohnraum ist.

Die Gewofag bekommt von der Stadt seit zwei Jahren kostenneutral das Bauland. Die Mietwohnungen sind zum großen Teil gefördert durch das Modell „Einkommensorientierte Förderung“ (EOF) für Geringverdiener. Die Miete wird vorgegeben und beträgt laut Dengler 9,50 Euro netto kalt – das ist die Hälfte dessen, was aktuell für Neumieten verlangt wird.

„München Modell“ für Mieter

Damit auch Menschen mit mittlerem Einkommen und Familien mit Kindern, die keinen Anspruch auf WBS haben, in der teuren Stadt Wohnungen zu tragbaren Mieten finden, gibt es in München ­eine städtische Förderung: Das sogenannte München Modell für Mieter und Genossenschaftsmitglieder. Es funktioniert in Grundzügen so: Die Stadt vergibt Grundstücke zu einem einheitlichen, lageunabhängigen Preis von 600 Euro pro Quadratmeter Geschossfläche in ­einem Auswahlverfahren an Bauträger oder Genossenschaften. Zusätzlich gibt es zinsgünstige städtische Hilfe in Form von Darlehen. Im Gegenzug verlangt die Stadt seit 2014 eine Dauer der Sozialbindung von 40 Jahren, auf SoBoN-Flächen von 30 Jahren. Die Anfangsmiete für die ersten fünf Jahre hängt von der Lage im Stadtgebiet ab. Es ist das selbst gesteckte Ziel, 20 bis 25 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete zu bleiben. Außerdem sind die Mieten in den ersten fünf Jahren nach Erstbezug einer Neubauwohnung im „München Modell“ gedeckelt. Auf lange Sicht kann Wohnraum so auch in München wieder bezahlbar ­werden. Wien hat es vorgemacht.

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Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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