Inland

„Was soll nur aus uns werden?“

von Rudolf Struck · 11. Juni 2013

Im Rahmen der Konferenz „Und wer fragt uns?“ wurde am Freitag die Frage erörtert, was Schulbildung soll. Jugendliche mehrerer Schulen diskutierten bei der Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung mit Lehrern, wie sich das deutsche Bildungssystem auf ihre Lebenserfahrungen einstellt und was sich ändern muss. Klar ist, Schüler wollen mehr beteiligt werden.

Selbstdisziplin oder Freizeit? Ausbildung oder Studium? Freiwilliges Soziales Jahr oder Karriere? Tun was wir wollen, oder was andere von uns erwarten? Was soll nur aus uns werden? Viele knifflige Fragen wirft eine Gruppe Bremerhavener Schüler durch den Raum und macht mit dieser temporeichen Inszenierung ihre Sicht auf die Bildungsdebatte deutlich. Die enorme Leistungserwartung durch Schule und Elternhaus einerseits, und die grenzenlosen Möglichkeiten andererseits verlangen Schülern heute viel ab. Ziel der Veranstaltung ist es, ihnen eine Stimme zu geben.

Die „Jugend von heute“ gibt es nicht

Die SINUS-Jugendstudie befasse sich als erste Untersuchung damit, wie Jugendliche „ticken“, stellt Dr. Marc Calmbach klar. Demnach erleben Jugendliche ihren Alltag sehr unterschiedlich, haben unterschiedliche Ziele und Träume. Einen von Armut bedrohten („prekären“) Jugendlichen verbinde beispielsweise nur wenig mit einem („expeditiven“) „Hipster“. Während ersterer die Schule oft als Ort von Misserfolgen und Konflikten wahrnehme, sei letzterer bereits sehr leistungs- und karrierebewusst. Unabhängig davon würden alle Jugendlichen klar wahrnehmen, dass heute „der Wert eines Menschen in erster Linie an seiner Leistungsfähigkeit bemessen wird“, warnt Calmbach. Gleichzeitig verlören sie ihr Vertrauen in Schule und Familie.

Schulen müssen eine Balance finden

Die Schule selbst sei gefangen in einem Konflikt zwischen zwei Funktionen, die sie erfüllen soll, erläutert die Bildungswissenschaftlerin Prof. Carola Groppe. Man erwarte von ihr, die Jugendlichen zu gewissen Werten zu erziehen, um sie auf die Welt draußen vorzubereiten („Enkulturation“). Zur gleichen Zeit jedoch sollen die jungen Erwachsenen selbstständig herausfinden, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Beides zusammen gehe nicht, und so müsse immer wieder eine Balance gefunden werden, wie Groppe mithilfe eines historischen Abrisses skizziert. Allerdings seien beide Funktionen wichtig, betont sie - auch die Vermittlung von Wissen und Normen.

Unser heutiges Bildungssystem, beklagt dagegen Reinhart Wolff, „ist von gestern und auf dem Stand des 19. Jahrhunderts“. Es verfolge immer noch eine hierarchische „Enkulturation“ der Jugendlichen, erklärt der Erziehungswissenschaftler in einem Interview, das von Schülern einer Berliner Gemeinschaftsschule gefilmt wurde. Leider werde oft übersehen, schließt sich Annette Harnitz an, wie „unglaublich wichtig Demokratie in der Schule“ für die persönliche Entwicklung sei. Die Schulleiterin der Gesamtschule Wennigsen stößt damit auf volle Zustimmung der Anwesenden. Eine noch radikalere, romantische Vorstellung wird von einem Schüler (aktiv in der Aktion „Funkenflug“) vorgetragen: Emil wünscht sich, dass „Schule und Leben eins werden mögen“, indem Schüler aktiv an der Gestaltung des Schulalltags mitwirken und selbst entscheiden, was wie gelernt wird. So räumt auch Groppe ein, dass eine Beteiligung nicht funktionieren könne, wenn sie von oben durch die Schule verordnet wird. Die Diskussion vergisst allerdings, dass es unter all den unterschiedlichen Jugendlichen viele gibt, die sich nicht beteiligen können oder wollen.

Zahlreiche Musterbeispiele der teilnehmenden Schulleiter machen deutlich, wie diese Beteiligung funktionieren kann, etwa indem die Jugendlichen einen Teil des Schulhaushalts verwalten und für eigene Zwecke ausgeben dürfen. In welchem Ausmaß und wie die Schule auf die Wünsche ihrer Schüler eingehen soll, bleibt indes umstritten.

Die SPD ist gefragt

Die Bundestagsabgeordnete Ulla Burchardt fasst die wichtigste Erkenntnis des Tages zusammen: „Schulen brauchen mehr Zeit, mehr Raum und mehr Geld.“ Es sei klar, dass von politischer Seite trotz allem Erfindungsreichtum der Schulen vernünftige Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl stellte die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung fest, ist eine sozialdemokratische Bildungspolitik gefragt.

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Rudolf Struck

war Praktikant beim vorwärts (2013).

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