Inland

Was sich Erstwähler von Europa erhoffen

Fünf Millionen junge Deutsche nehmen am Sonntag zum ersten Mal an einer Europawahl teil. Sie genießen Reisefreiheit und offene Grenzen und fordern zugleich mehr Zusammenhalt und Transparenz in der EU.
von Jonas Jordan · 24. Mai 2019
Für Europa: Berivan Agbayir engagiert sich in der Initiative „Europe Talks“.
Für Europa: Berivan Agbayir engagiert sich in der Initiative „Europe Talks“.

Klara Wyrobek hat gewonnen. Als eine von 30.000 jungen Europäerinnen und Europäern durfte die damals 18-Jährige im vergangenen Jahr dank der Initiative „­Dis­coverEU“ auf Entdeckungsreise gehen. Die Dortmunderin fuhr mit einem Interrail-Pass eineinhalb Wochen durch Belgien und Großbritannien. „Das war ein einschneidendes Erlebnis, weil es ein Programm der EU war, das mich persönlich betroffen hat“, sagt Wyrobek, die an der Universität Duisburg-Essen Globale und Transnationale Soziologie studiert.

Europa als „ein ganz großes Land“

„Ich finde es toll, dass ich mich mit anderen Menschen sofort verständigen kann und die gleiche kulturelle Basis habe“, sagt sie zu ihren Erfahrungen während der Reise. Die 19-Jährige gehört zu den fünf Millionen jungen Menschen in Deutschland, die am 26. Mai zum ersten Mal bei einer Europawahl mitstimmen dürfen. Der europäische Spitzenkandidat der Sozialdemokraten Frans Timmermans spricht von einer Generation, die sich um die Zukunft des Planeten sorgt.

Doch nicht nur die steht auf dem Spiel. Auch der Zusammenhalt innerhalb Europas ist durch zunehmende rechtspopulistische Tendenzen gefährdet. Dagegen engagiert sich Berivan Agbayir. Die 21-Jährige aus dem südhessischen Bad Homburg ist Teil der Initiative „Europe Talks“, die in zwölf europäischen Ländern agiert und Sozialdemokraten auf lokaler Ebene vernetzen möchte. „Ich finde es schade, dass der Zusammenhalt noch nicht so stark ist“, sagt Agbayir und beschreibt ihr Bild von Europa als „ein ganz großes Land, in dem verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Kulturen zusammenkommen, in dem ein gemeinsames Demokratieverständnis herrscht und man sich auf Augenhöhe begegnet“.

Forderung: EU muss transparenter werden

Ähnlich argumentiert Maria Ellendorff. Die 22-Jährige lebt in Berlin und äußert sich positiv zur Idee einer europäischen Wertegemeinschaft, in der sich unterschiedliche Staaten auf gemeinsame Regeln einigen: „Das ist für mich die europäische Utopie, dass das geht und dass man einen gemeinsamen Nenner findet, mit dem alle zufrieden sind und dass es eine Friedensgemeinschaft ist, in der man sich gegenseitig unterstützt.“

Zugleich mahnt die Studentin der Kulturanthropologie mit Blick auf Polen oder Ungarn: „Wenn man sich auf rechtsstaatliche Prinzipien einigt, muss kontrolliert werden, dass man sie auch einhält.“ Grundsätzlich müsse die EU transparenter werden, fordert sie. Auch um mehr Zustimmung für die europäische Idee zu erreichen und Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen.

Gemeinsame Hoffnung auf gute Zukunft

Von gemeinsamen europäischen Standards in der Bildungspolitik profitiert Luisa Maschlanka. Die 22-Jährige ist in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Inzwischen studiert sie im Master Europäische Studien im tschechischen Brno. Für sie soll Europa mehr sein als ein gemeinsamer Markt: „Wenn ich an die Pulse-of-Europe-Demonstrationen oder die Remain-Bewegung in Großbritannien denke, habe ich den Eindruck, dass Europa vielen Menschen etwas bedeutet. Sie teilen die Hoffnung, dass wir nur gemeinsam eine gute Zukunft für alle schaffen können.“

Maschlanka fordert, dass Politiker auf nationaler und europäischer Ebene jungen Menschen mehr zuhören und eine Europapolitik umsetzen sollten, „die sich an Werten wie Frieden, grenzüberschreitender Solidarität und Einhaltung der Menschenrechte orientiert“.

Für mehr Unterstützung von Behinderten

Für Jost Weisenfeld spielt die historische Dimension der europäischen Einigung eine große Rolle. „Es ist eine krasse und bedeutende Sache, dass Staaten wie Frankreich und Deutschland, die über Jahrhunderte verfeindet waren, ein gemeinsames Projekt gestartet und damit seit Jahrzehnten den Frieden in Europa gesichert haben“, sagt der 21-Jährige, der im mittelhessischen Dorf Oberasphe wohnt.

Obwohl in der hessischen Provinz aufgewachsen, hat auch Weisenfeld von „dutzenden Vorteilen“ der europäischen Einigung profitiert. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm ein Erlebnis während des YES-Summercamps 2016 in Sizilien. Dort sang er am letzten Abend mit Jugendlichen aus allen Ländern Europas die Internationale. Jeder in seiner Sprache. Ein bewegendes Erlebnis für Weisenfeld. Internationale Politik fasziniert ihn, im August wird er als Freiwilliger im Willy-Brandt-Center in Ost-Jerusalem arbeiten.

Im Alltag wünscht er sich von der EU vor allem mehr Unterstützung für Menschen mit Behinderung. Der 21-Jährige ist kleinwüchsig und sagt: „Die EU sollte bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskommission eine klare Linie fahren. In der Behindertenpolitik fehlt mir noch einiges.“ Ein europäischer Behindertenausweis wäre für ihn beispielsweise ein richtiger Schritt.

Europa sozialer und demokratischer machen

Hendrik Küpper studiert Politik und Philisophie an der FU Berlin. In die SPD ist der Koordinator der Berliner Juso-Hochschulgruppen bereits 2013 im Alter von 16 Jahren. Vor fünf Jahren erlebte er zur Europawahl seinen ersten Wahlkampf. Doch selbst abstimmen durfte er damals noch nicht. Das ist diesmal anders. Deswegen sagt der 22-Jährige: „Als Student erfahre ich die Möglichkeit, mit Menschen auf dem ganzen Kontinent in Kontakt zu stehen, internationale Freundschaften schließen zu können sowie problemlos innerhalb der EU reisen zu dürfen. Ich sehe aber auch die Gefahren und die Herausforderungen, vor denen Europa steht.“ Den Rechtsruck, digitale Monopole und den Klimawandel nennt Küpper als größte Probleme. „Lösungen für die aktuellen Fragen und Herausforderungen unserer Zeit können nicht von einem Nationalstaat allein gefunden werden“, sagt Küpper.

Deswegen fordert er Europa zu stärken und gemeinsam dafür zu kämpfen, „dass Europa sozialer, nachhaltiger und demokratischer wird. Die von globalisierten Märkten und digitalen Verbindungen geknüpften netzförmigen Interdependenzen zeigen zudem, dass der Wunsch nach einem sozialeren und demokratischerem Europa nicht um die Fragen umher kommt, ob wir Demokratie oder Kapitalismus in Europa wollen. Die Antwort aus sozialdemokratischer Sicht sollte dabei klar sein.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

0 Kommentare
Noch keine Kommentare